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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras
Autoren: Christian Mähr
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auch in Gefahr.« Ihre Stimme hatte Ton und Spannung verloren. Er spürte die Angst, die in ihr hochkam. Es ist ihr eben jetzt eingefallen, dachte er, es ist wirklich so, der Anschlag war vor Monaten, aber jetzt kommt sie drauf, dass ihr vielleicht jemand nach dem Leben trachtet. Weil sie einen russischen Schwerverbrecher gedemütigt hat, Ex-KGB wahrscheinlich … dass diese Leute aber auch immer so nachtragend sind! Fast hätte er laut gelacht. Sie war nicht normal. So war das. Verrückt. Auf spezielle Weise. Serienmord für ein besseres Dornbirn. Deshalb hatte sie ihm auch den Seitensprung mit Helga so schnell verziehen. Das war ja auch nicht normal, alles, was recht ist, welche Frau verhält sich so?
    Sie klammerte sich an ihn. Ihre Haut war kalt. »Meinst du, sie sind schon hinter mir her?« Ihre Stimme zitterte.
    »Ach wo!«
    Kann nicht sein, wo ich doch Nathanael gesprengt habe, ja, ehrlich! Aus Versehen. Das konnte er nicht sagen.
    »Die Polizei hat festgestellt, dass es Nitroglycerin war. Kein Profi verwendet so etwas. Viel zu gefährlich. Wenn es jemand aus dem Osten wäre, hätte der Semtex genommen. Oder ein Gift. Oder ihn einfach erschossen.«
    »Glaubst du?«
    »Hundertprozentig. Semtex oder eine Kugel. Oder Polonium. Nicht so ein Amateurzeug.«
    »Wieso Amateurzeug?«
    »Der hatte keine Ahnung von diesen Dingen. Ein Rezeptaus dem Internet runtergeladen, die Chemikalien besorgt und drauflosgepantscht …«
    »Aber besorgt hat er sie sich, die Chemikalien …« Sie klang noch nicht überzeugt.
    »Ich habe ja nicht gesagt, dass da keine beträchtliche kriminelle Energie dahintersteckt! Der hat nur keine Ahnung von Sprengstoffen. Glaubst du wirklich, ein KGB-Mann würde so einen idiotischen Anschlag durchziehen?«
    Sie beruhigte sich. »Aber Erfolg hatte er doch.«
    »Nur Glück. Und Nathanael Pech.«
    Er stand auf. »Ich glaube, du hast recht«, sagte sie, »die Russen würden das professioneller durchziehen. Aber wer war es dann?«
    »Ein spinnerter Einzelgänger. Es deutet alles darauf hin. Vergiss nicht: Nathanael war Polizist. Da macht man sich Feinde.«
    »Weil er jemandem auf den Fuß getreten ist …«
    »Er konnte ziemlich rüde sein, das weißt du.«
    Darauf ging sie nicht ein. Kein böses Wort über den Komatösen. »Ingomar Kranz ist eingebrochen, davon bin ich überzeugt, er ist in die Falle gegangen, die ihm Nathanael gestellt hat. Aber wer kann das gewusst haben? Wer das gewusst hat, weiß alles!«
    Die Angst kehrte in ihre Stimme zurück. Er konnte es hören. Er hätte nie gedacht, dass er es jemals so genau hören könnte, die Angst in der Stimme seiner verrückten Frau. So deutlich, als ob sie durch einen Trichter spräche. Er setzte sich aufs Bett und griff nach ihrer Hand.
    »Vielleicht Zufall«, sagte er. »Nicht, dass Ingomar dort war natürlich. Sondern dass die Bombe explodiert ist, als beide im Haus waren.«
    »Wie meinst du das?«
    Gute Frage. Wie meinte er das? Er war dabei, sich um Kopf und Kragen zu reden. War er auch verrückt? Ja, das war er. Noch mehr als seine Frau. Er brachte sie auf die Spur der Wahrheit. Um ihr die Angst zu nehmen. Er konnte nicht anders. Ich ertrage es nicht, wenn sie mit dieser Stimme spricht, dachte er, das ist die Erklärung. Wenn mich die Reporter dann interviewen nach dem Sensationsprozess, weshalb ich alles verraten habe, werde ich genau das sagen: Ich habe die Angst meiner Frau nicht ertragen. Er sagte: »Irgendwer hat die Bombe plaziert und gesprengt, so viel ist klar. Mit Fernzündung. Das hat die Polizei ermittelt. Der Täter war gar nicht in der Nähe. Der war kilometerweit weg wahrscheinlich. Der hat von Ingomar Kranz nichts gewusst. Ich glaube, er ist davon ausgegangen, dass niemand im Haus war. Nathanael war offiziell im Urlaub …«
    »Und woher soll er das gewusst haben?«
    »Ein Anruf bei der Polizei. Falscher Name, Prepaid-Handy. Das Ganze war als Denkzettel gedacht, glaube ich.« Jetzt brauchte er nur noch zu sagen: Ich war’s. Es tut mir leid, ich wollte niemanden verletzen. Aber dann würde er sie verlieren. Das würde sie ihm nicht verzeihen, das war klar. Eine Frau wie sie nicht. Den Seitensprung mit Helga Sieber hatte sie ihm verziehen, aber Tötung und schwere Körperverletzung ihrer Femegenossen würde sie nicht verzeihen; diese Frau, die zur Verbesserung von Dornbirn wahllos – nein, eben nicht wahllos, sondern sorgfältig ausgesuchte Leute umbrachte. Seine vollkommen verrückte Frau Hilde. Er konnte ihr nicht die Wahrheit
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