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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras
Autoren: Christian Mähr
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sie bedrückte, von ihr genommen. Auf sich genommen. Denn Angst muss immer bei einem empfindenden Wesen sein, das sich die Zukunft vorstellen kann. So wie er. Er hätte ihr die Geschichte von dem kleinkriminellen Denkzettel-Verabreicher nicht erzählen müssen. Dann hätte sie weiter Angst gehabt. Nicht die Angst vor dem Gesetz, vor Behörden. Sondern die vor einem Gegner, den sie nicht kannte.
    »Ich mach Frühstück«, sagte sie. »Ich hab beim Bäcker Spiegel einen Gugelhupf mitgenommen. Ist das recht?«
    »Gugelhupf hört sich wunderbar an.«
    Sie ging vor ihm die Treppe ins Wohnzimmer hinab. Am unteren Ende blieb sie stehen, er trat an sie heran, wie sie eserwartet hatte, umarmte sie, wie sie es erwartet hatte, und sagte »natürlich«, wie sie es erwartet hatte, als sie gefragt hatte: »Du hilfst mir doch bei diesem Baumann?«
    »Wer ist Baumann?«
    Sie erklärte es ihm. Er versprach, zu helfen.
    Er würde ihr immer helfen. Sie war seine Frau, und er liebte sie. Die Verbesserung von Dornbirn lag ihr am Herzen. Sie lag ihm am Herzen. Wenn man es genau bedachte, war alles sehr einfach. Er würde ihr helfen bei diesem Baumann . Es blieb nichts anderes übrig, es gab keine Alternative. Es hatte nie eine gegeben. Seine Fluchtversuche waren vergeblich gewesen.
    Sie richtete den Frühstückstisch her und redete von anderen Dingen. Er hörte nur mit halbem Ohr zu und schwieg. Sie war guter Dinge, voller Optimismus. Er war es nicht. Er hatte nur eine Frist, das war nun klar. Wie lang diese Frist währen würde, wusste niemand auf der Welt. Er nicht, sie nicht, niemand. Denn sie würde nicht bei Direktor Baumann stehenbleiben. Dornbirn war noch lang nicht so gut, wie es sein konnte, sein sollte. Irgendjemand würde den Frieden stören oder Recht verweigern. Oder eine Schwangere belästigen, weiß der Geier, was noch alles … ein femewrogiger Punkt halt. Irgendein Unglücksrabe würde so einen Punkt erfüllen, und die Freigräfin von Dornbirn würde Kenntnis davon erhalten und einschreiten. Mit ihrem Femegenossen vom Freistuhl, dem Diplomingenieur Anton Galba, Leiter der Abwasserreinigungsanlage. Daraufhin würden sie des Verfemten habhaft werden und ihn nicht an den nächsten Baum hängen , wie es hieß, sondern im Häcksler verschwinden lassen. Das war der Fortschritt. Biogas statt im Winde klappernde Gebeine, von Raben umflattert.
    Er konnte nur versuchen, die Zahl zu begrenzen. Das allerdings konnte er wirklich, das traute er sich zu. Er war einBremser. Nathanael Weiß dagegen war ein Gasgeber gewesen. Die hatten sich gegenseitig aufgeschaukelt, das konnte er sich vorstellen, er kannte die Begeisterungsfähigkeit seiner Hilde – dazu dieser Weiß, ein Tatmensch, der immer dazu neigt, erst zu handeln, dann die Handlungen zu bedauern. Eventuell, durchaus nicht immer. Er selber war aus anderem Holz. Er würde sie mäßigen. Doch, das konnte er, das war machbar. Keine Rede von einem Fall alle sechs Wochen. Das war einfach verrückt, eine viel zu hohe Rate, das musste auffallen. Das wären acht Verschwundene im Jahr. Unmöglich. Sagen wir: die Hälfte, also vier. Nein, vier war immer noch zu viel. Drei. Drei und keiner mehr. Einer alle vier Monate. Das müsste gehen.
    Immer unter der Prämisse, dass Nathanael Weiß nicht aus dem Koma aufwachte. Und sich erinnerte. Dann wäre es aus mit der Gemütlichkeit. Er begann zu lachen.
    »Was lachst du?«, fragte sie.
    »Ach nichts … weil wir am Leben sind, wir zwei.«
    »Das hast du schön gesagt. Setz dich.«
    Sie hatte zwei Stück Gugelhupf abgeschnitten und auf dem Wedgewood-Porzellan verteilt. Sie schenkte Kaffee ein. Heiß und stark. Es war Sonntagvormittag im zeitigen Frühjahr. Draußen schien die Sonne. Alles würde sich finden, dachte er. Was mussten andere Ehemänner nicht alles mitmachen! Kuren, Reisen nach Timbuktu. Theaterbesuche. Und er? Er musste nur seiner Frau ein bisschen helfen, Dornbirn zu verbessern. Alle drei Monate eine gute Tat. Eine gute Tat? Das war alles relativ. Damit hatte die Misere ja angefangen, dass alles relativ war. Aber daran war er nicht schuld, das konnte man nicht sagen. Er schaute nur, dass er über die Runden kam. Mit seiner Hilde und ihrem Hobby, mit seinem Job, mit seinen Töchtern.
    Mehr konnte niemand verlangen.

10

    Stadt Dornbirn Dornbirn, den 20. 7. 20..
    Abteilung Medien und Marketing

    An die
    Sulod-Filmproduktion
    Vilshofener Straße 10
    D-81679 München

    Betrifft:
    Anfrage um Unterstützung von Dreharbeiten
    (»Das Geheimnis
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