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Alles bestens

Alles bestens

Titel: Alles bestens
Autoren: Beate Doelling
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die Nummer. Nun saß ich ganz schön im Schlamassel. Die Medusa kannte mich seit der sechsten Klasse. Sie würde sofort meinen Vater in mir erkennen und auch sonst 1000 Fragen stellen. Ehrlich, ich kenne keine Schnepfe, die so viele Fragen stellt wie die Medusa, außer meiner Mutter natürlich.
    Mich schauderte es jetzt schon, der guten Medusa je wieder unter die Augen zu treten. Schließlich werden Spitznamen nicht beliebig verteilt.
    »Bitte, liebe Frau Hensel«, sagte mein Vater und räusperte sich, um die tiefe Stimme zu halten. »Ich bin sehr in Eile, habe leider überhaupt keine Zeit, mit der werten Frau Medu… äh … Merosa zu sprechen …«
    Echt, ich sülzte da rum, genau wie mein Alter, charmant, aber bestimmt; keinen Widerspruch duldend. Voll peinlich eben. Aber so was zieht ja bei den Erwachsenen. Die gute alte Hensel sagte auch gleich: »Ja, Herr Doktor, natürlich, Herr Doktor …«
    Frau Hensel kommt aus dem Osten, müsst ihr wissen, also aus einem von diesen neuen Bundesländern, die ja eigentlich gar nicht mehr so neu sind, aber wo sie noch alle titelhörig und unterwürfig sind.
    Ich sah sie direkt vor mir, die Gute, wie sie am Telefon stand und einen Knicks nach dem anderen machte. Daran soll man Ossis ja sofort erkennen. Das ist meinem Alten beim letzten deutschen Ärztetag aufgefallen, dass die Ossis immerzu Knickse machen, wenn man sie lobt oder ihnen einen Kugelschreiber schenkt, und dann hat mir mein Alter erklärt, was Knickse überhaupt sind. Im Westen, müsst ihr wissen, ist der Knicks schon lange ausgestorben. Nur manchmal, in ganz alten Filmen und Dokumentarberichten über die B d M -Jugend in der Nazizeit, sieht man, wie die Mädels früher schon fleißig knicksten.
    Das sei total schädlich für die Knie. Als Orthopäde kennt sich mein Alter natürlich aus mit Knieschäden und dem ganzen Mist. Auch wenn er durch die Akupunktur-Prüfung gefallen ist, aber in Sachen Knie ist er eine Koryphäe, wenn ihr wisst, was ich meine.
    Jedenfalls sagt er, Ostfrauen hätten mehr Knieschäden als Ostmänner, weil Ostmänner nicht knicksten, sondern einen Diener machten. Das sähe zwar genauso bescheuert aus, sei aber nicht schädlich für die Knie. Echt, Leute, so was erzählt mein Alter beim Abendbrot, so ganz nebenbei, mit vollem Mund. Dabei ist er auch nicht besser als die Knickser. Von wegen Knochen-Fortbildung! Aber ich will nicht vorgreifen, Leute.
    Nach dem Telefongespräch konnte ich nicht gleich wieder umschalten auf mich. Ich spielte noch eine Weile meinen Vater, fasste mir ans Knie, rannte hektisch durchs Haus, zündete mir eine von seinen Zigaretten an, the more you know , suchte meine Tasche, küsste meine Frau, sagte: »Bis heute Abend, Darling!«
    Dann ging ich zur Tür. Und weil ich schon mal an der Tür stand, ging ich auch raus, tat so, als müsste ich in die Praxis fahren. Und ich machte, wie jeder anständige Orthopäde, die Tür hinter mir zu.

Grün
    Da stand ich nun, vor unserer Haustür, in grünen Shorts, mit einer brennenden Zigarette und nacktem Oberkörper. Mein Alter war weg, meine Mutter nicht da und die Putze kommt nur freitags. Es war Montag, falls ihr’s genau wissen wollt. Montag früh, Viertel nach acht.
    Die Bäume standen im grünen Saft, mein Magen knurrte, meine Körperbehaarung stand zu Berge; es war noch sehr kühl, aber es sollte ein sonniger Tag werden. Ich rauchte erst mal in Ruhe die Zigarette und unterdrückte einen Würgereiz. Bis zu dem Tag war ich noch Nichtraucher gewesen.
    Ich brauchte dringend ein T -Shirt. Vielleicht konnte ich mir irgendwo ein T -Shirt von einer Wäscheleine holen und bei Schlecker ein Paar Flip-Flops klauen. Aber in Zehlendorf gibt es keine Wäscheleinen im Garten. Da gibt es nur Wäschetrockner und die sind im Keller.
    Tja, Leute, da stand ich nun, während der Berufsverkehr vor sich hin rollte und die Vögel in den Bäumen zwitscherten und meine Klasse auf dem Weg zur Klassenfahrt war und kein einziges Fenster in unserem Haus offen stand.
    Hätte ich doch bloß vorher was gegessen! Echt, ich kann euch nur raten, esst was, bevor ihr euch aussperrt! Und zieht euch was Anständiges an. Und raucht nicht auf nüchternen Magen!
    Ich ging in den grünen Garten und setzte mich auf die arabische Bank. Wir haben lauter arabische Bänke im Garten, arabische Tische, Lampen, Kissen, Stühle. Das ist die Art Beitrag, den meine Eltern zum Weltverständnis beisteuern. Jedes Stück hat enorm viel gekostet! Der Tisch ist sogar
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