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Alles bestens

Alles bestens

Titel: Alles bestens
Autoren: Beate Doelling
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nicht vorstellen, aber das war ein historischer Moment in meinem Leben. Andere Leute verwandeln sich eines Morgens in einen Käfer, bleiben auf dem Rücken liegen und verrecken; ich aber stand vor einem Spiegelbild, und daraus schaute mich ein Mann an, den ich noch nie vorher gesehen hatte. Gestern war er noch ein stinkender kleiner Alien, wie seine Mutter manchmal behauptete, aber jetzt war er plötzlich ein echter Kerl, mit breiten Augenbrauen, harten Wangenknochen, Weltblick. Ich sah aus wie der Davidoff-Mann: The more you know!
    Ich wusste alles! Mir war sofort klar, dass man bei so einer Verwandlung keinen Wecker hören konnte!
    Ich versuchte, die Zahnpastaspritzer vom Spiegel mit Spucke wegzuwischen, um voll zur Geltung zu kommen, aber das verschmierte den Spiegel nur. Trotz dieser Nähe schaute ich mir aus der Ferne zu. Kein Zweifel, das war ab heute ich, auch wenn ich mir noch ein bisschen fremd vorkam.
    Vielleicht kennt ihr das ja aus Filmen. Man identifiziert sich mit dem Helden, plötzlich bist du selbst Keanu Reeves oder James Bond und rennst dir den Arsch ab, obwohl du gleichzeitig auf dem Sofa sitzt und ’ne Tüte Chips killst. Meine Mutter hat mir mal erklärt, was da in einem abgeht, Überschneidung des Ichs nennt man das.
    Ich stand im Badezimmer und wertvolle Zeit verstrich. Inzwischen war es bestimmt schon acht Uhr. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Plötzlich wurde mir klar, dass ich als Mann doch nicht mit dem ganzen Kindergartenhaufen auf Klassenfahrt gehen konnte! Außerdem war es beim besten Willen nicht mehr zu schaffen, um Viertel nach acht am Zoo zu sein. Also holte ich das Telefon aus meinem Zimmer und räusperte mich ein paarmal. Mein Alter räuspert sich immer ein paarmal, bevor er etwas Wichtiges sagen will. Ich musste mir genau überlegen, was ich sagen wollte. Kann sich jemand vorstellen, wie anstrengend das war, um acht Uhr früh schon genau zu wissen, was man gleich sagen würde? Der Mann in mir sagte: keep cool , und das, was mich sonst noch ausmachte, überlegte, ob ich nicht lieber aufschreiben sollte, was ich gleich sagen würde. Mir sauste Fax oder E -Mail durch den Kopf, aber allein um den Computer hochzufahren war keine Zeit mehr. Also nahm ich das Telefon und wählte die Nummer von meiner bekloppten Schule.
    »Droste-Hülshoff-Gymnasium, Sekretariat, Hensel am Apparat«, meldete sich die Stimme unserer Sekretärin.
    Ich räusperte mich und legte meinen ganzen Mann in die Stimme: »Springborn hier. Guten Morgen, werte Frau Hensel!«
    Dabei ist mir fast schlecht geworden, vor lauter Heuchelei. Aber mein Alter hätte das genauso gesagt: »Guten Morgen, werte Frau Hensel!«, wobei »Guten Morgen, Frau Hensel« voll und ganz gereicht hätte. Meine Eltern sind schon ziemlich alt, müsst ihr wissen, beide über 50 , es hat halt lange nicht geklappt mit mir, mit meiner Entstehung. Alte Leute reden so. Und Heucheln gehört zu ihren Jobs. Jedenfalls wollte ich genauso klingen wie mein Vater. Seitdem ich meinen Stimmbruch hatte, haben uns alle immerzu am Telefon verwechselt. Warum sollte mir das nicht eines Tages zugutekommen?
    »Mein Sohn kann leider nicht mit auf Klassenfahrt«, sagte mein Vater sehr freundlich. »Er hat die ganze Nacht geblutet.«
    »Ach du meine Güte!«, sagte Frau Hensel. »Was ist denn passiert?«
    »Nichts Ernstes«, sagte mein Vater. »Nur eine akute Nasenwurzelentzündung, und das blutet manchmal sehr heftig, besonders nachts.«
    Oh Mann, ich kann euch sagen, ich war so richtig in Fahrt und hätte der Schnepfe am liebsten noch mehr aufgetischt, etwa in der Art:
    »Sie wissen doch, mein Sohn popelt immer im Unterricht. Davon verkleben die Kapillaren und Schlackenstoffe werden nicht mehr abgebaut. Es kommt zu einer Akkumulation von weißen Blutkörperchen, die schließlich platzen, und dann spritzt venöses Blut durch die Gegend. Manchmal explodiert auch der Nasentunnel auf der arteriellen Seite, durch Akkumulation von roten Blutkörperchen. Dann ist das Blut heller, röter … Eine Riesensauerei, sage ich Ihnen!«
    Aber ich hielt meine Klappe. Die gute Frau Hensel hatte mich mal vor einer Mathearbeit nach Hause geschickt, weil ich einen auf Darmverschluss gemacht habe. Man soll die Leute nicht überfordern. Sie drehen sonst durch, laufen Amok oder sonst was.
    »Herr Doktor Springborn …«, sagte Frau Hensel, »… am besten gebe ich Ihnen die Handynummer von Frau Merosa.«
    Frau Merosa ist unsere Klassenlehrerin. Ich tat so, als notierte ich mir
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