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Alles bestens

Alles bestens

Titel: Alles bestens
Autoren: Beate Doelling
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drei wie durch Cellophan hindurch. Einer saß immer am Küchentisch, ein anderer setzte sich dazu, irgendwann stand einer auf und der Dritte kam. Es war wie eine Performance, in der jeder seine Rolle spielt, still und friedlich, und seit langer Zeit ging mal keiner dem anderen auf den Geist.
    Wir hatten gemeinsame Mahlzeiten. Das Essen schmeckte gut wie nach einer Beerdigung. Meine Eltern umarmten sich sogar mehrere Male am Tag, obwohl mein Alter in seinem Schlafzimmer blieb und meine Mutter in ihrem Schrank.
    Ich habe mit ihr über dieses Traumbild gesprochen, und sie hat gesagt, das sei ein schönes Bild, es verkörpere den Mutterleib, in den man sein Leben lang wieder zurückmöchte; und sie sei gar nicht so stark, wie alle immerzu dachten.
    Ich allerdings wollte nicht zurück in den Mutterleib, ich wollte zu Sandra. Ich fuhr jeden Tag nach Kreuzberg, klapperte die Baustellen ab, lauerte vor den Siedlungen in Treptow, auch wenn es nicht die richtigen waren, wie sich später herausstellen sollte.
    Die Idee mit der Einraumwohnung kam gegen Ende der Besinnungswoche, und zwar von mir. Mein Vater hielt es auf Anhieb für eine gute Idee. Das würde mich mit beiden Beinen auf den Boden der Realität bringen. Er habe früher auch eine Studentenbude gehabt.
    »Aber Johannes ist doch erst 16 «, sagte meine Mutter.
    »Ich werde bald 17 «, sagte ich.
    »Außerdem ist die Jugend von heute viel frühreifer«, sagte mein Vater.
    Ich hätte zu gern gewusst, ob das stimmte. Vor allem, wann er es das erste Mal getan hatte. Später als ich? Oder früher?
    Leute, so ein kleiner Gedanke genügte und ich segelte durch das Blau meiner Erinnerung und mein Herz platzte fast aus meiner Brust, vor Stolz und vor Sehnsucht. – Aber es war nicht der richtige Augenblick, um mit meinen Eltern über erste Male zu reden.
    »Johannes!«
    Das war die Stimme meiner Mutter, und zwar nachdem sie bestimmt schon zwei- oder dreimal meinen Namen genannt hatte.
    »Mehr Selbständigkeit tut dir auf jeden Fall gut«, sagte sie.
    »Es wäre für alle von Vorteil«, sagte ich, »dann könntet ihr eure Situation auch in Ruhe überdenken.«
    Meine Eltern schauten sich in die Augen und nickten.
    An dem Abend kam dann noch eine Entscheidung zustande: Schwester Sabine sollte dazu gebracht werden, freiwillig die Praxis zu verlassen, man würde ihr auch nötigenfalls kündigen, damit sie Arbeitslosengeld bekäme.
    »Das ist alles kein Problem«, sagte mein Vater und räusperte sich. »Ich werde ihr so ein gutes Zeugnis schreiben, dass sie schnell wieder eine Stelle bekommt. Sie war ja wirklich eine hervorragende Kraft.«
    Sülz. Sülz. Aber meine Mutter fand das oberhuman.
    Und so waren meine Eltern bereit, es noch mal neu miteinander zu versuchen. Was für eine Erleichterung! Auch für mich.
    Keine zwei Tage später fanden wir eine Wohnung. Ich bin dann erst mal umgezogen, in meine Einraumwohnung. Computer, Bett, Tisch, Stuhl. Kein Kaktus. Kleine Küchenecke, kleines Bad. Alles bestens. Mein Alter kann die Wohnung von der Steuer absetzen und ich habe meine Ruhe. Wache morgens auf und starre die Wände an und bin glücklich. Und jetzt wohne ich schon über einen Monat hier, mit einer kleinen Birke vor dem Fenster, die mich an die Birke im Kies erinnert. Hellgrüne, zarte Blätter, die ich manchmal im Vorbeigehen berühre.
    Nur mein Schulweg ist jetzt irre lang. Okay, ich nutze die Fahrten, mache Hausaufgaben oder Notizen für diesen Roman. Und auf dem Rückweg schaue ich in meinem Elternhaus vorbei, stell mir was Feines in die Mikrowelle, weil tagsüber sowieso keiner da ist, und esse in Ruhe vor der Glotze. Füße auf dem Glastisch – eigentlich ist das genau wie früher. Mein altes Zimmer ist kahl und wirkt viel kleiner. Irgendwie wie ein Kinderzimmer. Ich geh da eigentlich gar nicht mehr rein. Küche ist okay, Wohnzimmer auch, schon allein wegen der Glotze. In meiner Einraumwohnung habe ich nämlich keine und will auch keine haben, aber ohne Unterhaltung zu essen ist doch Mist, oder? Was in der Glotze kommt, ist auch Mist, aber so esse ich wenigstens meinen Teller leer, stelle ihn in die Spülmaschine, stopfe meine schmutzige Wäsche in den Wäschekorb und nehm die frisch gebügelte wieder mit. Das hat sich schon wunderbar eingespielt, aber der Anfang war zäh und einsam.
    Ich konnte die erste Woche nicht allein in meiner Wohnung sein, bin immer wieder raus, ruhelos, links um den Block, rechts um den Block, und jeden Abend durch die Baustellen getigert. Wie ein
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