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Alles bestens

Alles bestens

Titel: Alles bestens
Autoren: Beate Doelling
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maßgeschneidert, damit sich meine Mutter nicht an der Tischplatte die Knie stößt. Meine Mutter hat nämlich eine ganz spezielle Kniehöhe, womit sie gegen die meisten Tische stößt. Aber mein Vater arbeitet dran. Jetzt lässt er noch die Tische ändern, aber wahrscheinlich kann er es kaum abwarten, ihr endlich künstliche Knie zu verpassen.
    Ich setzte mich auf die arabische Bank unter dem Apfelbaum. Ohne Kissen taugt so eine Bank gar nichts, aber die arabischen Kissen waren im Geräteschuppen, und der Schlüssel vom Geräteschuppen hing im Keller, einen Meter vom Trockner entfernt, und der Schlüssel vom Keller hing im Schlüsselkasten neben der Garderobe im Hausflur. Ich kam mir vor wie bei Peterson und Findus. Fehlte nur noch, dass so ein verdammter Stier auf der Nachbarweide war, aber auf allen Nachbarweiden war tote Hose. In Zehlendorf ist immer tote Hose, wenn nicht gerade Berufsverkehr ist. Echt, es ist so beschissen langweilig, man könnte genauso gut auf dem Mars wohnen oder auf dem Saturn.
    Bei Saturn fiel mir der Alexanderplatz ein und plötzlich ging’s mir nicht mehr gut. Ich hatte meine erste Krise als Mann. Bei Saturn wollte ich mir seit Tagen schon das neue Album von Camille kaufen, aber dann hatte ich das Geld für zwei Kinokarten ausgegeben, für The day after tomorrow , diesen beknackten Katastrophenfilm, in dem ganz New York einfriert und für den es mir immer zu kalt war. Ich wollte mit Sascha Schellenberg ins Kino. Sascha war zu der Zeit noch mein bester Kumpel, wir guckten uns öfter alte Filme an, Taxi-Driver , Brazil , Clockwork Orange und den ganzen Mist, oder fuhren in die Stadt und chillten auf dem Badeschiff, am Treptower. Ich hatte mich schon gefreut, mit ihm ins Kino zu gehen, aber da hat er sich nach der großen Pause in Eva Kerstenberger verknallt, so eine Mittelklasse-Kuh aus der Achten. Und ich armer Sponsor hab ihnen die beiden Kinokarten geschenkt. Dachte, der Film wird sie schon abkühlen, mit so viel Eis und Frust, aber danach war Sascha überhaupt nicht mehr zu retten. Als ich ihn später fragte: »Na Alter, wie war der Film?«, grinste er dreckig und sagte: »Was für ein Film, Mann?«
    Ich schlug ihm auf die Schulter, grinste auch dreckig und sagte: »Cool, Mann«, wofür ich mich heute noch in den Arsch treten könnte. Aber hätte das was genützt?
    Der gute Sascha war nicht mehr zu gebrauchen, er starrte nur noch dieser kleinen Schnecke hinterher und knutschte dauernd an ihr rum. Und ich verlor von einer Sekunde auf die andere meinen bis dahin zurechnungsfähigen Kumpel, die Kinokarten, mein Geld.
    Hätte ich mir doch nur das neue Album von Camille gekauft. Im Nu war der ganze Nachmittag im Arsch. – Too drunk to fuck!
    Und jetzt, auf der arabischen Bank, drohte die wie Nebel aufgestiegene Morgen-Melancholie ihren Aggregatzustand zu wechseln und in tiefste Depression überzugehen. Deswegen stand ich auf, solange ich noch konnte; ich war schon sehr schwach geworden, müsst ihr wissen. Von innen zerrte der Hunger an mir, von außen drückte die Depression. Meine Bauchdecke hatte bereits konkave Formen angenommen. Ich durfte gar nicht an Frühstück denken und erst recht nicht an Kinokarten.
    Ich tapste von Baum zu Baum und suchte nach einem Apfel. Einen Augenblick überlegte ich, ob ich meine Shorts auch noch ausziehen sollte, um einen auf Adam zu machen, aber bei Adam musste ich an den Adam von Bonanza denken, der bescheuerteste von den Cartwright-Brüdern, und der wollte ich auf keinen Fall sein und schon gar nicht nackt. Also behielt ich meine Shorts an und suchte weiter nach einem Apfel, aber ob ihr’s glaubt oder nicht, der Mai ist eine beschissene Zeit für Äpfel. Also ging ich zum Kirschbaum, aber es war auch eine beschissene Zeit für Kirschen. Es gab auch keine Birnen, Pflaumen, Pfirsiche und all das andere Zeug.
    Ich aß ein bisschen Löwenzahn, ein paar Ameisen und suchte nach Erdbeeren. Leider fand ich nur die wenigen, die über Nacht gereift waren. Meine Mutter hatte gestern Abend noch das ganze Beet abgerodet, für ihre berühmten Milkshakes.
    »Hänschen«, hatte sie gesagt. »Hast du auch Lust auf einen Erdbeermilkshake?«
    Meistens reagiere ich nicht, wenn sie mich Hänschen nennt. Ich heiße Johannes Richard Ephraim Springborn, wenn ihr’s genau wissen wollt, und nenne mich Hannes oder Ritschi – je nachdem, was so anfällt, aber meine Mutter ist sowieso in meiner Kindheit stecken geblieben, außerdem ist es hoffnungslos, ihr etwas auszureden.
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