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Alles auf Anfang

Alles auf Anfang

Titel: Alles auf Anfang
Autoren: Benioff David
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Nachricht mitteilte.
    Einige von ihnen schnauzten mich an, beschimpften mich, weil ich sie nie besuchen kam, und ich verstand ihren Zorn und dessen tieferen Grund. Wenn dich der Gärtner anschreit,
weil du sein Gras zertrampelst, dann meint er damit nicht nur dich. Sondern jeden Abkürzungen nehmenden Mistkerl der letzten zehn Jahre, jeden kleinen Jungen, der durch die Azaleen stürmt, jeden Golden Retriever, der im frisch gesäten Rasen buddelt. Du bist nur der Letzte einer langen Reihe von Sündern, und du bekommst die Schuld eines jeden Missetäters angelastet, der vor dir hier durchgegangen ist.
    Ich befragte alle meine infizierten Freunde, erkundigte mich bei ihnen nach den Namen guter Ärzte und Kliniken. Ich hörte ihnen aufmerksam zu, machte mir Notizen und stellte fest, wie dankbar sie für die Gelegenheit waren, ihrer Zunge freien Lauf zu lassen. Sie wetterten gegen den Staat, gegen ihre Versicherungsgesellschaften, gegen die Männer, die sie infiziert hatten, und die Lover, die sie verlassen hatten, gegen die hübschen Knaben, die ihnen nicht mehr in die Augen sahen, gegen ein Land, das wollte, dass sie starben und es hinter sich brachten.
    So werde ich nicht werden, sagte ich mir. Lieber jage ich mir eine Kugel in den Schädel, als so zu enden, als ein Häufchen Hass und Angst. Aber nicht alle Männer waren in diese Endlosschleife aus Klagen und Beschuldigungen abgeglitten. Einige waren hoffnungsvoller. Sie sprachen sehr eindringlich über neue Medikamente, die sich noch im Versuchsstadium befanden, starke Arzneimittel, die angeblich halfen. Noch war keines von ihnen zugelassen; nur Testpersonen hatten Zugang zu diesen Arzneimitteln.
    Hector nickte, als ich ihm diese Neuigkeit berichtete. Er wusste bereits davon, hatte bereits seine einflussreichen Freunde angerufen (»Kunstmäzene«, wie er mir augenzwinkernd
sagte) und für uns beide einen Termin bei einem renommierten Arzt vereinbart, der zurzeit an einer Klinik in der Stadtmitte Tests durchführte.
    »Es geht dabei um Folgendes«, erklärte uns Dr. Kislyany, der hinter ordentlich aufgestapelten Papieren und Zeitschriften an seinem staubfreien Schreibtisch saß, »nämlich, wir versuchen, die Bösewichter zu sterilisieren. Wenn wir von Viruslast sprechen, wissen Sie, was damit gemeint ist?«
    »Ich glaube, schon«, sagte ich. Hector sah mich an und verdrehte die Augen. »Nicht so richtig«, ergänzte ich.
    Dr. Kislyany lächelte. Er war ein überraschend junger Mann, dunkelhaarig und fit und elegant. Er trug eine Nickelbrille; zarte Schmetterlinge schwebten über den gelben Grund seiner Krawatte. »Das Virus klont sich selbst, kurz gesagt. Es vermehrt sich, stellt Kopien her. Die Anzahl der Kopien, die in einem Milliliter Blut herumschwimmen, das ist die Viruslast. Nun, die Therapie, die wir hier erproben, Ihnen ist doch klar, dass sie brandneu ist? Es geht um eine völlig neue Arzneimittelklasse. Wir wissen noch nicht, was die Langzeitwirkungen sind. Und wir wissen nicht, ob diese Arzneimittel überhaupt wirken. Erste Ergebnisse sehen zwar ziemlich vielversprechend aus, aber es ist noch zu früh, um Genaueres sagen zu können. Das heißt, die Sache ist riskant. Wenn Sie sich dafür entscheiden, wenn Sie freiwillig teilnehmen, machen Sie sich zu menschlichen Versuchskaninchen.«
    Hector starrte zum Fenster hinaus. Ich sah erst ihn und dann den Arzt an. »Wenn Sie an unserer Stelle wären«, fragte ich ihn, »wenn Sie hier säßen, würden Sie sagen, dass das der beste gangbare Weg ist?«

    »Ich bin fast sicher, dass es der einzige gangbare Weg ist.«
    Er händigte uns lange Verträge aus, die das Krankenhaus, die Pharmakonzerne und alle anderen auf der Welt von jeglicher Haftung befreiten. Wir lasen die Klauseln rasch durch und unterschrieben, ohne Fragen zu stellen.
    »Jetzt untersuchen wir Ihr Blut. Falls die Viruslast unter fünftausend liegt, warten wir ab. Liegt sie darüber, fangen wir an. Und, meine Herren«, erklärte er uns, während er die Brille abnahm, »das ist eine aggressive Therapie. Hier heißt es nicht, nehmen Sie zwei Aspirin und rufen Sie mich morgen wieder an. Diese Medikamente sind echte Hämmer.«
    Wir nickten, begierig darauf, anzufangen. Ich konnte spüren, wie sich das Virus in meinem Körper ausbreitete, jede Sekunde einhundert Nachkommen zeugte, die darauf versessen waren, mich von innen her verfaulen zu lassen.
    Eine Krankenschwester, die lange Gummihandschuhe und Mund-Nasen-Schutz trug, zapfte uns Blut ab. Am nächsten
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