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Alles auf Anfang

Alles auf Anfang

Titel: Alles auf Anfang
Autoren: Benioff David
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herauszuschlüpfen.
    Kislyany verschrieb Pillen gegen den Durchfall, die nur zu gut wirkten; ich hatte sechs Tage keinen Stuhlgang. Ich setzte das Antidiarrhoikum ab. Zwei Monate später passierte mir wieder ein Malheur. Ich begann Windeln für Erwachsene zu tragen. Kislyany gab mir andere Pillen, die es mir erlaubten, zu meinem natürlichen Rhythmus zurückzukehren, und nach einigen Monaten fühlte ich mich sicher genug, um ohne Windeln auf die Straße zu gehen.
    Hector blieb bei jedem neuen Behandlungszyklus von Nebenwirkungen verschont. Während ich im verdunkelten Schlafzimmer lag, bis tausend zählte und mir versprach, dass die Migräne verschwinden würde, wenn ich diese Zahl erreichte, konnte ich durch die Tür den Fernseher und Hectors leises Lachen hören. Ihn plagte nicht die Übelkeit, die mich quälte. Wenn ich vor dem offenen Maul der Toilette kniete, die Keramikschüssel vollgespritzt mit orangefarbenem Erbrochenen, wischte mir Hector mit einem nassen Handtuch die Lippen ab und hielt meinen Nacken. Ich spuckte in die Kloschüssel und sah zu ihm hoch, zu Hector, so wunderschön wie immer, zu Hector, der sich im Badezimmerspiegel dabei zuschaute, wie er mir beistand.

    Dann passierte etwas Merkwürdiges. Alle drei Monate ließen wir unsere Viruslast kontrollieren, und trotz der widersprüchlichen Reaktionen begann ich auf die Therapie anzusprechen. Bei mir sank die Zahl auf fünftausend und blieb in diesem Bereich. Das Virus verschwand zwar nicht, aber es vermehrte sich auch nicht. Mein Körper und die Krankheit hatten ein Patt erreicht. Hectors Viruslast dagegen stieg, von achtzehntausend auf vierundzwanzigtausend, von vierundzwanzig auf vierzig, von vierzig auf zweiundfünfzig, von zweiundfünfzig auf vierundfünfzig, von vierundfünfzigtausend auf neunzigtausend. Er tanzte noch immer, sein Körper blieb muskulös und geschmeidig, doch die Ungeheuer pflanzten sich fort.
    Achtzehn Monate nachdem ich bei ihm eingezogen war, an einem strahlenden Junisonntag, rief er nach mir. Ich lief ins Badezimmer, sah ihn vor dem Spiegel stehen, den Mund weit offen. Seine Zunge hatte einen milchigen Belag. Soor.
    Ich rief Kislyany daheim in Westchester an. Im Hintergrund konnte ich kleine Kinder kreischen hören, und das Surren eines Mixers, alles unterlegt mit Bachs großer Fuge für Orgel. Ich sagte ihm, was passiert war.
    »In Ordnung«, sagte er, und ich dachte: Bitte benutzen Sie nicht diesen Ausdruck, Doktor . »Das zeichnet sich schon seit einiger Zeit ab. Und wie fühlen Sie sich?«
    »Ich? Hören Sie, soll ich ihn in die Klinik bringen?«
    »Wie ist seine Atmung?«
    »Seine Atmung ist normal. Ist das … Bedeutet Soor, dass es jetzt sicher ist?«
    »Leg das hin, Julia«, sagte er. »Danke, Schätzchen. Entschuldigen Sie, Alexander. Was sagten Sie?«

    »Bedeutet Soor, dass es jetzt sicher ist?«
    Er seufzte ins Telefon, und ich konnte mir vorstellen, wie er seine Nickelbrille abnahm, sich mit dem Handrücken die müden Augen rieb. »Ich könnte Ihnen sagen, dass gar nichts sicher ist, bevor wir Tests gemacht haben. Aber ehrlich gesagt: Ja, jetzt ist es sicher. Er hat Aids. Bringen Sie ihn morgen Vormittag in die Klinik, wir geben ihm ein Antimykotikum. Dann klingt der Soor schnell ab.«
    »Morgen Vormittag?«
    »Sie können auch in die Notaufnahme gehen. Aber kommen Sie lieber morgen Vormittag, wir röntgen seinen Oberkörper, schauen nach, ob da was ist.«
    Am nächsten Morgen unterzogen mit Gummihandschuhen und Mund-Nasen-Schutz ausgestattete Ärzte und Krankenschwestern Hector einer langen Reihe von Tests. Ein biegsamer Tubus, ein Bronchoskop, wurde in seine Luftröhre eingeführt, wo es eine kleine Gewebeprobe für die mikroskopische Untersuchung entnahm. Sie legten ihn nackt auf einen stählernen Untersuchungstisch und deckten seine Leiste mit einem Bleikissen ab, machten dann Röntgenaufnahmen von verschiedenen Teilen seines Körpers. Drei verschiedene Schwestern stachen drei verschiedene Nadeln für drei verschiedene Bluttests in seinen Arm.
    Danach saßen wir nebeneinander in Kislyanys Sprechzimmer. Ich wollte Hectors Hand halten, aber er ließ mich nicht; er starrte zum Fenster hinaus auf das Gebäude auf der anderen Seite.
    »Sie müssen über Nacht hierbleiben, Hector«, sagte Kislyany. »Sie werden einige Zeit hierbleiben müssen. Sie haben eine Lungenentzündung.«

    Hector drehte langsam den Kopf herum und sah den Arzt an. »Lungenentzündung?«
    »Parasitäre Pneumonie. Pneumocystis carinii . Wir
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