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Alles auf Anfang

Alles auf Anfang

Titel: Alles auf Anfang
Autoren: Benioff David
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setzen Sie deshalb auf Pentamidin, aber ich muss Sie hierbehalten. Es ist … Es ist unbegreiflich, dass Sie so gut auf den Beinen sind. In den meisten Fällen kann der Patient nicht ohne Hilfe durchs Zimmer gehen. Das ist ein gutes Zeichen. Und das ist ein schlechtes Zeichen: Ihre T4-Lymphozyten sind bei eins zwanzig. Das ist wenig; das ist bei Weitem zu wenig. Wir wechseln daher zu anderen Medika…«
    »Wer ist wir? Sie und ich?«
    »Nein …«
    »Alexander und ich?«
    »Nur so eine Redewendung«, sagte Kislyany. »Alexanders Medikamente wirken; also bleibt er dabei. Für Sie heißt es, Antibiotika gegen die Pneumonie, Antimykotika gegen den Soor, eine völlig neue Medikation. Ich habe für Sie ein Zimmer im achten Stock reserviert, schönes Zimmer, sehr sonnig.«

    Hector hatte die Lungenentzündung nach drei Tagen überwunden, zu Kislyanys Verwunderung. Er wurde aus der Klinik entlassen und ging wieder zu seinen Ballettproben, geschwächt zwar, aber begierig darauf, zu tanzen. Langsam gewann er seine Kraft zurück. Im August wurde er wieder als Solotänzer eingesetzt, eine noble, aber sinnlose Geste seitens der Compagnie.
    Einige Wochen später, beim Aufwärmen im Studio, rutschte Hector mit der Ferse von der Stange ab und fiel auf den Rücken. Abends kamen drei Ballerinen in unsere Wohnung;
sie hänselten Hector wegen seiner Ungeschicklichkeit, und wir alle lachten, aber ich sah, dass die Ballerinen Angst hatten. Hector stürzte nie.
    Am Montag darauf kam ich mit einer vollen Einkaufstüte nach Hause und sah Hector am Küchentisch sitzen, auf seine Hände starrend.
    »Keine Probe heute?«, fragte ich ihn, während ich die Milch in den Kühlschrank stellte.
    »Ich habe mir freigenommen«, sagte er, die Augen trocken und düster und unerforschlich.

    Es ergab keinen Sinn, dass Hectors Körper aufgab und mein eigener weiterkämpfte und sich behauptete. Das war doch idiotisch. Das war doch kriminell.
    Es wurde schlimmer. Es kam vor, dass ich ihn im Wohnzimmer antraf und ihn fragte, wonach er suchte. Er starrte mich dann nur ausdruckslos an und blinzelte, halb lächelnd, und zuckte mit den Schultern. Einmal, als ich gerade im Gästezimmer malte, hörte ich einen dumpfen Schlag im Badezimmer. Ich lief hin und fand ihn nackt in der Dusche kniend, unter dem voll aufgedrehten Wasser, eine rote, schon dunkler werdende Schürfwunde an der Stirn.
    »Was ist passiert? Bist du okay?«
    Er fischte einen Knäuel Haare von mir aus dem Abfluss und hielt ihn mir hin. »Du wirst kahl, Alexander«, erklärte er mir traurig.
    Wenn er sich die TV-Sitcoms anschaute, lachte er nicht mehr; er starrte auf den Fernseher, als wartete er darauf, dass jemand durch die Mattscheibe heraustritt. Wenn ich den Apparat
ausschaltete, schien er es nicht zu bemerken; er blickte noch minutenlang auf den leeren Bildschirm.
    An einem regnerischen Oktobermorgen wurde ich von einem seltsamen Stöhnen geweckt; als ich mich im Bett umdrehte, sah ich, dass Hector mit dem Gesicht nach unten dalag und dass sein rechter Arm zuckte. Ich dachte, er habe einen Albtraum, und knuffte ihn in die Seite. Er wachte nicht auf. Ich rollte ihn auf den Rücken und sah, dass seine Augen offen standen, zwei Speichelfäden aus seinen Mundwinkeln rannen.
    Ich rief einen Krankenwagen, und die Sanitäter kamen, hoben ihn aus dem Bett, schnallten ihn auf eine Tragbahre und fuhren uns in die Klinik. Dr. Kislyany holte mich im Wartezimmer ab, eine Sammelmappe in der Hand, einen Bleistift hinter dem Ohr. Er führte mich in sein Sprechzimmer und machte die Tür zu.
    »Es sieht schlecht aus, Alexander.« Er zog ein Bündel Röntgenbilder aus der Mappe. »Er hat ein zerebrales Lymphom. Wir haben CT-Scans gemacht.«
    Ich blickte hinunter auf die Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Hectors Gehirn. Kislyany deutete mit dem Radiergummi an seinem Bleistift auf einen unscharfen weißen Fleck. »Sehen Sie diesen Herd?« Er deutete auf einen weiteren. »Und den? Sie sind überall. Läsionen.« Er atmete laut aus und trommelte mit dem Bleistift auf die Schreibtischplatte.
    »Was machen wir jetzt?«, fragte ich. Das Bleistiftgetrommel klang so laut wie Explosionen.
    »Wir beginnen morgen mit der Bestrahlung. Ich habe für ihn das gleiche Zimmer reserviert, das im achten Stock. Sagen Sie, Alexander, wie fühlen Sie sich?«

    Ich verstand nicht, warum er das wissen wollte.
    »Ihre Virenzahl war letztes Mal sehr niedrig«, sagte er und nickte beifällig. »Unter viertausend. Wir sind auf dem richtigen
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