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Alles auf Anfang

Alles auf Anfang

Titel: Alles auf Anfang
Autoren: Benioff David
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nicht anders.«
    »Sie haben ihn sterben lassen. Sie waren zwei Jahre lang sein Arzt, und Sie haben ihm nur Zuckerkügelchen gegeben. Sie haben ihn sterben lassen.«

    Er packte mich bei den Schultern und zog mich dicht an sich heran, die Augen schmal und zornig. »Glauben Sie, dass ich mich so abrackere, weil ich Menschen sterben lassen will? Hören Sie. Als wir anfingen, wussten wir nicht, ob die Medikamente wirken. Niemand wusste das. Es handelte sich um völlig neue Forschungsergebnisse; nach allem, was wir wussten, konnten die Medikamente mehr Menschen töten als das Virus selbst. Verstehen Sie? Man muss so vorgehen. Arzneimittel müssen erprobt werden. Und dazu braucht man immer eine Kontrollgruppe.«
    Das Wort Kontrollgruppe hing im fluoreszierenden Licht des Flurs, kalt, präzise und erbarmungslos.
    »Aber warum musste er dazugehören? Er wäre noch am Leben, Doktor. Warum haben Sie mich ausgewählt? Wer hat Ihnen gesagt, dass Sie mich auswählen sollen?«
    Er ließ mich los und schüttelte den Kopf. »Ich habe Sie nicht ausgewählt. Das ist purer Zufall. Ein Computer ermittelt die Namen nach dem Zufallsprinzip. Es war einfach Glück, Alexander.«
    Meine Beine gaben nach; ich hatte Angst, auf dem Linoleumfußboden zusammenzusacken. Ich wollte jetzt nicht schwach sein; ich betete um Kraft.
    »Er hätte es geschafft«, sagte ich ruhig. »Wenn Sie ihm die Medikamente gegeben hätten, dann hätte er es geschafft.«
    »Es war eine Doppelblindstudie. Er wusste es nicht, ich wusste es nicht. So werden Medikamente nun einmal erprobt. Es geht nicht anders. Ich bin nicht der Bösewicht, Alexander. Ich weiß, Sie wollen einen Bösewicht, aber den gibt es nicht. Das bin weder ich noch die Zulassungsbehörde, niemand ist das. In meinem Leben geht es darum, und zwar nur
darum, zu versuchen, ein Heilmittel für diese verdammte Krankheit zu finden. Vor zwei Jahren wussten wir nicht, ob die Medikamente überhaupt wirken. Jetzt wissen wir es. Die Männer da drin«, sagte er mit einer Kopfbewegung in Richtung der geschlossenen Tür, »die haben eine Chance, lange am Leben zu bleiben.«
    Ich lehnte mich mit dem Gesicht an die beige Wand, die Wangen direkt auf dem kalten Anstrich. Ich konnte das Gurgeln von Wasser hören, das durch Leitungen floss, und Hämmern irgendwo unter uns; ich bildete mir ein, den elektrischen Strom spüren zu können, der durch Kupferdrähte floss.
    »Ich will keinen Bösewicht, Doktor. Ich will Hector.«
    Er nickte. »Es tut mir leid, Alexander. Ich habe ihn einmal tanzen sehen. Dornröschen . Ich verstehe nichts vom Ballett, aber …« Er zuckte die Schultern und lächelte. »Er zog das ganze Publikum in seinen Bann. Hören Sie, die jungen Männer da drin sind vermutlich schon in Panik geraten. Lassen Sie mich mit den beiden zu Ende reden, danach gehen wir zusammen essen.« Er drückte kurz meinen Arm und griff dann nach der Türklinke.
    »Doktor«, sagte ich, und er blieb stehen, wartete. »Sie wussten Bescheid. Sie wussten, dass meine Pillen wirken, Sie wussten es schon lange. Sagen Sie jetzt bitte nichts. Hören Sie einfach zu, okay? Als Sie sahen, was los war, hätten Sie ihm die echten Medikamente geben können. Vielleicht wäre es zu spät gewesen, ich weiß es nicht. Aber Sie hätten es versuchen können. Hector könnte noch …«
    Kislyanys Miene wurde abweisend. Er betrat sein Sprechzimmer und machte die Tür hinter sich zu. Gerade als die Tür noch halb geöffnet war, sah ich das Pärchen nur einen
knappen Meter voneinander entfernt sitzen und sich über den Abstand hinweg bei der Hand halten. Einer von ihnen sah direkt zu mir her, die Augen erfüllt von Angst und Neugierde. Der andere starrte zum Fenster hinaus.
     
     
     
    5 Die Stewardess kommt mit dem Kopiloten zurück, einem Mann mit breiter Kinnlade, die Ärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt. Beim Näherkommen sieht er mich finster an und wedelt mit der Hand durch die Luft.
    »Wie lange sitzt er schon so da?«, fragt er die Stewardess leise, aber in zornigem Ton.
    »Etwa fünfzehn Minuten. Ich glaube, er ist krank, Jimmy.«
    »Du glaubst, dass er krank ist? Und ob der krank ist.« Der Kopilot beugt sich zu mir herunter, bis sein Gesicht nur Zentimeter von meinem entfernt ist. »Sieh mich an, Freundchen«, flüstert er. Er rümpft die Nase. »Sieh mich an.«
    Ich sehe ihn an. Wir starren uns einige Sekunden an.
    »Zum letzten Mal«, sagt er. »Du kommst jetzt mit, oder wir tragen dich nach hinten.«
    Er wartet auf meine Antwort. Als
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