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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
Autoren: Volker Ferkau
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laufen, tick, tock, tick, tock! bis es seinen ganz normalen Rhythmus wieder aufgenommen hat.
    »Du machst dir ne Menge Probleme, Wille«, sagt Schotterbein.
    »Wenn du nicht aufhörst, den dicken Max zu markieren, werden deine Probleme größer sein als meine, denk ich. Man hört ja so das eine oder andere darüber, wie locker die das Messer sitzen haben ...«, sagt Frank. Aus dem Augenwinkel sieht er, dass Cemir bestätigend lächelt. Die dunklen Augen nicken. Versteht dieser Kerl mehr Deutsch, als alle mutmaßen?
    »Wir sprechen uns noch, Wille. Freu dich schon mal auf Montag«, droht Schotterbein, reißt die Spindtür auf und dreht Frank und Cemir den Rücken zu.
    Das war’s. Viel Getöse für nichts.
    »Sen iyi adamsin. Tessekür ederim! Guter Mann du«, murmelt Cemir, der sich entspannt.
    »Guter Mann? Von wegen ... dummer Mann ich«, sagt Frank und geht zu Oskar zurück, der kopfschüttelnd da steht und ihm einen Vogel zeigt.
     
     
     

4
     
    Währenddessen achthundert Meter entfernt in der Waschkaue von Zeche Kruse/Konstanzia das Schicksal seine Zähne bleckt und jenes kleine Drama geschieht, das das Leben einiger Menschen verändern wird, betritt Tom die Wohnung, in der die Familie Wille lebt.
    Nachdem er hinter Mama her die Treppe hochgestiegen ist, befindet er sich in einem Flur ohne Fenster, der von einer Deckenlampe beleuchtet wird. Dort sind drei Türen, eine geht ins Elternschlafzimmer, eine in das Zimmer, das Tom und Ottilie sich teilen, eine – und diese steht offen – in die Küche. Rechts neben der Küchentür geht eine Holztreppe hoch zu einem abgehängten Dachboden, wo Gerümpel aufbewahrt wird. Da oben kann man sich nur kriechend bewegen und allerlei Erinnerungen werden dort aufbewahrt, verwahrt in Taschen und Kisten. Unter dieser Treppe sind Dinge wie Schuhschrank, Pinkelpott und andere Wichtigkeiten hinter einem Vorhang verborgen.  Und dann gibt es einen Wandteppich. Gut zwei mal drei Meter im Quadrat erstreckt er sich über die Wand zum Treppenabgang und Toms Finger streichen darüber, eine Angewohnheit. Ganz weich fühlt der sich an. Tom liebt das Motiv. Ein Elefant, der alles niedertrampelt, was sich ihm in den Weg stellt, flüchtende Männer, Inder? Und ein Tiger, dessen Augen hinter Bambus leuchten, sprungbereit. Der Teppich ist ein Mitbringsel aus Frankreich, aus der Zeit, als Frank Wille sich als Fremdenlegionär verdingte.
    Die meisten Familien haben eine unverwechselbare, wie in Stein geschlagene gestalterische Persönlichkeit, die sich in der Auswahl und der Anordnung von Möbel und Ausstattung zeigt; die Innenausstattung der Willes bevorzugt den sachlichen Stil. Alles ist geordnet, für die Ewigkeit gebaut, gut sauber zu halten, alles Qualität, vom Munde abgespart.
    Diese Küche verfügt über viel Raum, ist keine enge Kochnische, sondern ein Aufenthaltsraum. Rechts von der Tür gibt’s einen gusseisernen Ofen, daneben ein Kühlschrank für den Papa Wille einen halben Monatslohn hingeblättert hat, wuchtig wie ein Monolith, deutsche Wertarbeit, gegenüber weiß gestrichene Schränke, massiv, schwer, in denen Mama Wille Geschirr, Besteck und alles verstaut, was sie benötigt, um einen perfekten Haushalt zu führen.
    Alles wird dominiert vom Küchentisch, der in der Raummitte steht, flankiert von vier Holzstühlen mit buntem Sitzkissen drauf. In der Ecke schräg links vom Fenster steht eine Couch im Halbschatten, darüber hängt ein Bild, wie man es in diesen Tagen oft sieht: Ein Mädchen mit wallenden Haaren, das, eine Rose in der Hand, dem Betrachter mit lüsterner Unschuld über ihre nackte Schulter hinweg anschaut. Neben der Couch ragt eine Stehlampe mit Lampenschirm, Modell Tüte bis zur Schräge, unter der sich ein Gummibaum biegt.
    Toms Schritte tacken auf dem Balatum, das Mama heute Morgen gewachst hat, damit fürs Wochenende alles sauber ist. So wie es sich gehört.
    Im Radio plaudert Thomas von Radio Luxemburg auf Mittelwelle. [1] Er sagt den neuesten Hit der Beatles an, And I Love Her. Überhaupt läuft auf Radio Luxemburg viel englische Musik. Give her all my love … That's all I do … And if you saw my love … You'd love her too …  love her …
    Hinter der Wohnküche gibt es die so genannte gute Stube , jetzt zugeschlossen. Die gute Stube ist ein Ort der Ruhe, den Mama nur am Sonntag öffnet, den man nur mit Hingabe betritt oder wenn Besuch kommt. Und dieser Besuch steht ins Haus, nämlich morgen, wenn sie ihren dreiunddreißigsten Geburtstag feiert.
    Hier
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