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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
Autoren: Volker Ferkau
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oder der schmerzenden Entbindung einer Utopie vom Leben nach dem Bergbau.
    Dann gibt es noch seine allerbesten Freunde. Die Bücher. Er ist ein lesender Bergmann, in den Augen der Kumpel, die davon wissen – Oskar mal ausgenommen - ein sonderlicher Kauz, einer, der nicht weniger als Steiger sein sollte.
    »Mann, es gibt Ärger. Das geht so nich weiter. Die Anderen gucken sich das nich mehr lange an. Sie sagen, ich soll mit dir reden«, knurrt Oskar. Seine Augen funkeln.
    »Und was soll das bringen? Soll ich zu Schotterbein gehen und ihm sagen, ich hatte versehentlich dreißig gute Tage ... eigentlich kann man gar nicht so viel abbauen, war alles nur ein Zufall.« Frank dreht sich einfach um und lässt Oskar stehen. Er fühlt sich abscheulich dabei, doch er will auf keinen Fall eine Diskussion. Nicht jetzt.
    Für den Fall, dass sich irgendwer mal nicht einfach stehen lässt, vertraut Frank auf seine Schultern, die breiter sind, als die der anderen Männer, außerdem ist er größer als die meisten von ihnen. Für Bergleute ist es von Vorteil, von mittlerem Wuchs zu sein. Wenn man Ärger kriegt, ist eine hünenhafte Gestalt von Nutzen.
    Die Kaue ist ein Raum so groß wie ein Fußballfeld, sechs Meter hoch, gelb gefliest und umschlingt ihre schmutzigen Körper mit Vertrautheit. Über Seilwinden ziehen die Kumpels ihre Arbeitsklamotten an die Kauendecke, wo sie wie Wespennester unterm Dach hängen.  Unten gibt es Meter um Meter einfache Spinde, deren Türen krachen, scheppern, noch mehr verbeulen. Hier bewahrt man seine privaten Utensilien auf.
    Hunderte Männer, nackt, schwarz vom Kohlenstaub, tummeln sich unter Duschen, aus denen Wasser dampft, waschen den Arbeitsdreck mit guter Ruhr-Kohlen-AG-Kernseife ab. Ihre Gespräche, Zoten, Rufe hallen durch die Kaue, Lachen, Pöbeleien, Husten. Fast alle husten und spucken schwarzes Sputum auf die Fliesen, eine Mischung aus Lungengewebe, Ruß und Rotz, was wie ein angedickter Longdrinkrest aussieht, der nach ein paar durchfeierten Tagen auf der Küchenanrichte Schim mel angesetzt hat und endlich in den Ausguss gurgelt. Das Ergebnis von zu hoher Staubkonzentration unter Tage, und den toxikologischen Bestandteilen von Tabakrauch, ein für viele von ihnen tödliches Gemisch aus Kohlenmonoxid, Cadmium, Arsen und Nikotin. Wer nicht an Staublunge erkrankt, kann sich eine Tuberkulose einfangen, was auch durch die TBC-Röntgen-Busse, die in Bergborn alle paar Monate zur Volksüberprüfung Halt machen, nicht sicher vermieden wird.
    Frank hat sich an die Geräusche von hochgequältem L ungenextrakt, gemischt mit bullrigem Lachen und zotigen Witzen gewöhnt. Er öffnet die Seilwinde und kurbelt mit der Rechten die Kette mit seinen Klamotten runter, während seine Linke schon die Knöpfe der Arbeitskluft öffnet. Ein nackter Körper schiebt sich an ihm vorbei, noch feucht vom duschen, ein anderer, staubig, stinkend nach Schweiß und Dreck, stellt sich zwischen Spind und Frank. Oskar, wie Gott ihn schuf – falls Gott was von harter Bergarbeit wusste.
    »Hör zu, ich mein das ernst. Ich weiß nich, was seit ein paar Wochen mit dir los is, aber ich bin die längste Zeit dein Freund gewesen, wennze so weiter machs.«
    »Nun mach mal halblang ...«
    »Nee, mach ich nich. Es gibt ein paar Kumpels, die dir an die Wäsche wollen, kapierste? Is nich grad lustig, mit anzuhören, was die so vorhaben mit dir.«
    »Alles nur dummes Geschwätz.«
    »Diesmal nich, ich schwör’s dir. Die Jungs malochen sich die Seele aus den Knochen, aber du bist immer was voraus. Wem willste was beweisen?«
    Frank hängt die Grubensachen an die Kralle und steigt aus der Unterhose. Der Kohlenstaub ist bis in die Arschritze gekrochen, in jede Pore, im wahrsten Sinne des Wortes. Jeder, der länger als zehn Jahre unter Tage ist, hat Kohlenstaub im Gesicht, besonders unter den Augen und links und rechts der Nasenflügel, an den Ellenbogen, an den Fingern und da wo man sich mal verletzt hat sowieso, Dreck, der sich unter die Haut gefressen hat und sich nicht mehr entfernen lässt, weder mit Kernseife noch sonst was.
    Oskar hustet und spuckt aus. »Wie lange kennen wir uns?«
    »Liebe Güte. Ich will duschen. Mir juckt der Pelz.«
    »Mehr als acht Jahre, Frank. Und wir ham ne Menge Spaß zusammen gehabt und manch einen zusammen gehoben, oder?«
    »Später, Oskar.«
    »Ich bin dein Freund, Alter. Ein Freund der Familie, wie man so schön sagt.«
    Ein Schrei, lauter als die Krakeelerei der Kumpels, die irgendwann nur noch
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