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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
Autoren: Volker Ferkau
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ein Stimmenbrei ist, und an die man sich mit der Zeit gewöhnt, hallt über die Fliesen. Ein gellender Ton, der nicht hierhin gehört. Ist das die Vorstufe zur Schlägerei, der Ausbruch von Müdigkeit und Frustration? Diesen Punkt kennen sie alle, denn jedem von ihnen ist manchmal danach, die Sau rauszulassen, die Wut auf den Vorgesetzten rauszulassen, die Unzufriedenheit über dies und das, den Schmerz der geschundenen Muskeln, Knochen, Gelenke, den Kater vom Besäufnis gestern rauszulassen, diesen ganzen mit Testosteron getränkten Scheiß.
    Das Gespräch zwischen Oskar und Frank, so es denn eines war, ist beendet. Frank wirft die Spindtür zu, Oskar klammert sich an Franks Arm. Sie alle haben viele Schreie gehört, kennen deren Keim, können sie einschätzen, denn täglich gibt es Verletzungen, kleine Unglücke, von Zeit zu Zeit Tränen. Sie alle kennen das Niveau dieses Lautes. Das hier war ein Schrei der Trostlosigkeit, der unterdrückten Verbitterung, der aufgestaute Grimm eines Mannes, der viel ertragen hat, der sich Luft machen will, der im Moment nicht weiter weiß.
    Jeder ist still und verharrt atemlos.
     
     

2
     
    In der Nähe bellt ein Hund, jault hysterisch, verstummt, als würge ihm etwas d ie Kehle zu, beginnt erneut zu kläffen. Das ist ein Hund, der abgerichtet wurde, über ein Grundstück zu wachen, einer, der sein Opfer stellen will.
    Aus der Garageneinfahrt stolpert ein Junge, wie ein gejagter Hase oder wie ein Halbwüchsiger, der etwas ausgefressen hat und dem man auf den Fersen ist. Seine Haare sind schweißverklebt, die Augen hinter den Brillengläsern sichern flink, spähen gehetzt.
    Es ist der elfjährige Thomas Wille, den sein Klassenlehrer Tom nennt.  Tom - das klingt achtbar, gewichtig, in dieser Zeit modern, sehr amerikanisch, hat was von Chuck oder Bill oder sogar Elvis irgendwie. Tom will Schriftsteller werden. Seine Klassenkameraden Uwe, Micha und Georg sehen das anders, raue Jungens, die nach der Schule auf Tom warten, um ihm seine dichterischen Ambitionen auszutreiben.
    Wenn es um so was wie Raufereien geht, halten sie Thomas Wille für einen Dummkopf, weil der häufig nicht mal wegläuft, wenn sie ihn erwischen, obwohl er mit seinen langen Beinen bestimmt ganz schön flink abhauen könnte und sich, wenn sie dann ihren Spaß mit ihm haben, kaum wehrt. Man kann ihm den Kopf in den Sandkasten stecken, die Brille verbiegen, dieser Bohnenstange ein paar blaue Flecken verpassen.
    Wie immer wird seine Mama die Brille, ein Kassengestell, mit Leukoplast flicken müssen. Nichts Besonderes, Tom kennt das schon, hat so seine Erfahrung mit kaputten Brillen, Tränen und Sand zwischen den Zähnen.
    Tom, das Haar straßenköterblond, Fassonschnitt mit ausrasiertem Nacken, die Schulterblätter, von denen Papa sagt, man könne Hüte dran aufhängen, nach vorne geschoben, als stemme er sich gegen die zu erwartende Schelte an, beschleunigt seine Schritte, beeilt sich, denn er weiß, dass er nicht pünktlich sein wird. Und das mag Mama überhaupt nicht.
    Seine Ärmchen lugen streichholzdünn aus Kurzärmeln, die so breit wie Fledermausflügel sind, die zerschrammten Beine stecken in Hosen, deren Säume weit über den Knöcheln flattern. Die Hosen des Jungen haben Hochwasseralarm, dennoch ist das besser als kurze Lederhosen, die alle Jungs hier tragen, aus Kostengründen, denn Leder reißt nicht, wenn man beim Fußballspielen stürzt. Seitdem sein Spielkamerad Erwin Krug die Lachnummer des Bolzplatzes ist, weil der nie auf die Toilette geht, wenn er muss, und ihm mit schöner Regelmäßigkeit Kackwürste aus den Lederbeinen plumpsen - eine eklige Angelegenheit, über die die Jungs sich vor Lachen ausschütten und die Mädchen angewidert abwenden - hat Tom eine konditionierte Abscheu gegen diese Bayernhosen entwickelt. Eine Abscheu, die nur noch mit seinem Widerwillen vor Schweinehirn in Zwiebeln gebraten konkurrieren kann, ein Essen, das Mama regelmäßig kocht, typisch schlesisch und das genauso regelmäßig von Tom verweigert wird.
    Er ist zufrieden. Er hat es den Blödmännern mal wieder gezeigt. Er hat sie überlistet. Sollen sie sich doch die Beine in den Hintern warten. Er kennt das Problem ganz genau. Wenn sie ihm auflauern, er ihnen sozusagen in die Arme läuft, wehrt sich irgendwas in ihm, abzuhauen. Er fühlt sich dann feige. Jemand, der einer Auseinandersetzung aus dem Weg geht, so einer will er nicht sein. Dann nimmt er Geringschätzung in Kauf, ohne sich zu wehren, weil seine
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