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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
Autoren: Volker Ferkau
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sich als Widersacher gesehen habe. Ja, Frank habe den Colonel ermordet, um ihn aus dem Wege zu haben.
    Frank sah keinen Sinn darin, sich weiterhin um Michele zu kümmern und verließ Paris in Richtung Deutschland.
    Michele indes ließ ihm keine Ruhe.
    Frank hatte ihr – einmal, nachdem sie sich geliebt hatten - geschildert, in welcher deutschen Stadt er wohnen wolle, wenn dies alles vorbei sei. Dorthin ging er und dort spürte sie ihn mittels des Einwohnermeldeamtes auf. Sie schrieb ihm wüste Briefe, in denen sie ihn des Mordes beschuldigte und noch viele andere haarsträubende Behauptungen aufstellte. Sie überschüttete ihren ehemaligen Liebhaber mit einer Essenz aus Trauer, Schuldgefühl und Hohn und schilderte den Vorfall so, dass Frank jemandem, der diese Briefe las, wie ein brutaler Killer erscheinen musste.
    Jemandem wie Ottilie.
    Diese Briefe verstaute Frank in seinen privaten Unterlagen, damit er nie vergaß, was geschehen war. Er konnte sie nicht wegwerfen, das war unmöglich. Lieber Himmel, sagte er sich hin und wieder. Es waren nur Briefe! Welche, die eine verzweifelte, hassende Frau geschrieben hatte.
    Und er erkennt, dass er alles verdrängt hat. Dass er sich nicht mehr an die Briefe erinnern wollte.
    »Bis heute hat mich die Legion in Ruhe gelassen. Vermutlich hält man mich für tot. Ich bin der einzige meiner Gruppe, der überlebte. Insgesamt kamen von mehr als fünfunddreißigtausend deutschen Legionären nur sehr wenige zurück nach Hause. Ich hatte Glück.«
    Über dem Wohnzimmer liegt eine Ruhe, ähnlich der, die Frank vor mehr als zwanzig Jahren im Dschungel erlebt hat.
    »Ich erinnere mich an ein Gedicht«, bricht er das Schweigen.
     
    »Wer weiß, ob jener unbekannte Krieger,
    Der unter dem gewalt´gem Bogen ruht,
    Den Waffenruhm vergang´ner Zeiten mehrend –
    Kein Fremdling ist, zu Frankreichs Sohn geworden 
    Durch das vergoss´ne Blut und nicht durch das ererbte.
     
    Schöne Worte, die einen Scheiß wert sind, weil das größte moralische Übel der Krieg ist und immer sein wird.« Frank sieht auf. Seine trockenen Augen brennen.
    Er schweigt und schüttelt sich, weil es ihn fröstelt.
    »Aber das Schlimmste ist ...«, mit bebender Hand nimmt er die Zigarette, die Otto ihm reicht. Der hat sie schon angezündet und Frank nimmt einen tiefen Zug. »Das Schlimmste ist, dass ich den Teppich wegtrug, die ganze Zeit über mit mir schleppte, wie ein Schuldeingeständnis, ein Artefakt der Hölle. Und diesen Teppich konnte ich nicht verdrängen, wie ich es mit den Briefen tat, denn er hängt bei uns zu Hause an der Wand, sodass kein Tag vergeht, an dem ich nicht an Colonel Legrange denke und daran, wie ... wie ...«, und endlich versagt seine Stimme, und er ist unendlich erschöpft.
    Später, wenn sie wieder in Bergborn sind, weiß Frank, wird er sich in Lottes Schoß verkriechen und weinen. Jetzt beherrscht er sich und macht ein steinernes Gesicht. Lotte hat sich unterdessen vor ihm auf die Tischkante gehockt und legt ihre Handflächen auf seine glühenden Wangen, an ihren Lidern hängen zwei Tränen, die trocknen, ohne herunterzufallen. Wann wird auch sie endlich ihr Herz öffnen und mit Muttel reden, sich mit ihr vertragen? Ottilie hat sich neben ihn gesetzt, ihr Kopf liegt, während sie schweigt, an einer Schulter und Tom zeichnet sich durch seine stille erwachsene Aufmerksamkeit aus.
    Frank hatte gedacht, dass eine Lüge, die ein Leben trägt, besser sei als eine Wahrheit, die ein Leben zerstört. Vielleicht hat die Wahrheit in dieser Stunde das Leben von Ottilie gerettet.
    Das hofft er. Und hofft, dass sie ihn versteht. 
    Er drückt sie an sich und spürt ihre innige Nähe. Endlich, endlich. Endlich wieder.
    Und noch einmal erinnert er sich an jene Worte, die Legrange so gerne zitierte: Wie oft sind es erst die Ruinen, die den Blick freigeben auf den Himmel!
    So sind sie beisammen und erleben sich aus altem Gemäuer und brüchigem Stein. Die Willes - eine Familie wie viele andere – dennoch einmalig.
    Frank blickt zur Seite seine Tochter an.
    Er fragt: »Könntest du dir vorstellen ... wäre es dir recht, für eine Zeit, eine Weile nur in der guten Stube auf der Couch zu schlafen?«
    Und Ottilie lächelt.
     
     
     
     
    ENDE
     
     
     
     
     

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    Das Schicksal der Familie Wille ist eng verknüpft mit einem Mann, der ein Geheimnis hütet, das vielen Menschen Unglück bringen kann.
    Tom lernt ‚ dienen’
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