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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
Autoren: Volker Ferkau
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Augen unter einer hohen Stirn, der Blick erbarmungslos, sezierend und – trotzig!
    Ottilie ist eine junge Frau geworden!, erkennt Frank, dennoch ist ihr noch ein Hauch Kind inne, das nicht leben kann, wenn es nichts zerbricht. Er hatte Ottilie und Thomas verboten, auf den Dachboden zu gehen. Hatte ihnen verboten, in Staub und Erinnerung zu stöbern. Aber vielleicht ist Ottilie eine, deren Charakter sich verschlechtert, wenn sie sich einem Verbot gezwungen, nicht beabsichtigt unterwirft. Dann hat sie richtig gehandelt, denn sie ist eine Wille.
    Und da Frank die Macht der Seele in ihren Augen erkennt, findet er dort einen bestrickenden Dickschädel, eine still lodernde Flamme, die auf den Kohlen unbeantworteter Fragen züngelt, eine unter Mullbinden gezügelte Eruption, ein Wesenszug, der ein Teil dieser jungen Generation zu sein scheint.
    Wut!
    Sinnsuche.
    Hitze!
    Melancholie.
    Und Seelenschmerz.
    Ähnlich, wie Goethe es in den Wahlverwandtschaften beschrieben hat, assoziiert Frank. Eduards und Charlottes Kind ist ertrunken und Ottilie versucht es, das Kind im Arm, wiederzubeleben. Wie ging noch der Text?
    Mit feuchtem Blick sieht Ottilie empor und ruft Hilfe von daher, wo ein zartes Herz die größte Fülle zu finden hofft, wenn es überall mangelt.
    Nie war seine Tochter ihrem Namen näher.
    Nie war sie Frank näher.
    Sie hat ein Anrecht auf die Wahrheit.
     
     

14
     
    »Ich werde es nur dieses eine Mal erzählen, danach nie wieder«, beginnt Frank. »Adolf Hitler war tot – endlich. Ich stand allein da in einer Welt der Trümmer, ohne Beruf, ohne Geld, ohne Zukunft.«
    Ohne Zukunft ...
    Also bewarb sich Frank - wie so viele seine Altersgenossen - bei der Fremdenlegion. Dort konnte man Geld verdienen, einen fairen Kontrakt unterschreiben und eine Bahn nehmen, die Deutschland weit hinter sich ließ. Vor allen Dingen, so versprach man den jungen Männern, war die Fremdenlegion, La légion étrangère , frei von jeder Ideologie!
    Es ging zur Kommandostelle nach Tunesien. In Tunis waren mehr als 4000 Deutsche stationiert, und wie Frank schnell feststellen musste, in der Mehrzahl Kriegsgefangene, die den Franzosen von den Amerikanern und Engländern übergeben worden waren. Bald erfuhr Frank die Wahrheit, die nichts mit Abenteuer zu tun hatte: Die Unterkünfte waren unmenschlich. Die Gefangenen sowie auch diejenigen, die sich freiwillig gemeldet hatten, mussten auf dem nackten Fußboden schlafen und erst später gab es Materiallieferungen, von denen sie sich Betten und anderes bauen konnten. Trotzdem blieben die Baracken, in denen jeweils 120 Mann untergebracht waren, unzureichend. Die Gefangenen hungerten ständig, vor allem, als die Lieferungen aus Deutschland abrissen.
    Das Disziplinarwesen erinnerte eher an das Mittelalter als an das Genfer Abkommen. Die Strafen waren oftmals grausam und willkürlich. Schon bei kleinsten Vergehen wurden Gefangene ausgepeitscht oder hatten einen harten Arrest zu verbüßen. 
    »Wir dachten, als Freiwillige würde es uns besser ergehen, aber dieser Zahn wurde uns schnell gezogen!«
    Frank lernte Colonel Legrange kennen, einen Mann, der die Vierzig überschritten hatte, ein dunkler Kerl, mit buschigen Augenbrauen, kompakt wie ein braungeschnürtes Paket. Was Frank an diesem Vorgesetzten faszinierte, war das verschmitzte Lächeln, das sich stets in den Mundwinkeln des Colonels eingenistet hatte wie ein fröhlicher Spatz. Sogar in den schwierigsten Situationen versuchte er, dem Leben Positives abzugewinnen.
    Es gibt nichts auf der Welt, das einen Menschen so sehr befähigt, äußere Schwierigkeiten oder innere Beschwerden zu überwinden als das Bewusstsein, eine Aufgabe im Leben zu haben!, war einer seiner Leitsätze und später erfuhr Frank, dass Colonel Legrange ein großer Verehrer eines Mannes war, der die Logotherapie erfunden hatte, die sich aus drei philosophischen und psychologischen Grundgedanken ableitete: Der Freiheit des Willens, dem Willen zum Sinn und dem Sinn im Leben. Viktor Frankl, der Mann, der dies erdacht hatte, hatte die schrecklichen Jahre im KZ Theresienstadt mit seiner positiven Lebenseinstellung überlebt und war den Beweis angetreten, dass man sogar im absoluten Horror noch die Freude am Leben finden konnte.
    Warum sich Frank keine Frau gesucht habe?, wollte der Colonel wissen. Warum Frank sich von seiner Familie losgesagt habe? Warum Frank dieses und jenes tat, so oder so denke, sich so oder so verhalte?
    Diese Form der Fragestellung war fordernd,
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