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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
Autoren: Volker Ferkau
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Wetten auf denjenigen abgeschlossen, der überlebt.
    »Das kennt man. Darüber wurde schon viel geredet, nicht wahr? Auch darüber, wie viele Überlebende später den Verstand verloren, weil ihn die Furcht zerfressen hatte. Aber für uns ... für uns hatten sie sich etwas anderes ausgedacht. Etwas noch viel Grauenvolleres«, sagt Frank und er starrt dabei wie blind vor sich hin, will niemanden ansehen, ist in der Vergangenheit, das höllische Bild plastisch vor Augen. »Sie müssen mitgekriegt haben, wie viel wir uns bedeuteten.«
    Man zwang die Männer, aufeinander zu schießen.
    Der Sieger würde den Teppich bekommen und freies Geleit obendrein.
    Frank hört das Aufstöhnen von Lotte, meint das Zittern im Körper seines Sohnes wahrzunehmen, ahnt den Schrecken, der Ottilie bei dieser Geschichte ergriffen haben muss; Gina neben ihm hört regungslos und aufmerksam zu; Otto putzt sich schon wieder die Brille und Frank fragt sich, wie weit er in seinem Bericht fortfahren soll. Was kann, was darf er seiner Familie, sich selber zumuten? Und welche Bedeutung hat das heutzutage noch? Es sind alte Geschichten, die man vergessen sollte.
    Meine Tochter hält mich für schuldig! Deshalb zerschneidet sie sich ihre Handgelenke.
    Das ist die Bedeutung!
    »Sie losten, wer zuerst schießen sollte!«
    Nie, niemals, um keinen Preis der Welt würde Frank vergessen, wie Colonel Legrande flüsterte, er wisse von der Sache mit Michele und er hoffe, falls er dieses Spiel verliere – er sagte tatsächlich Spiel - dass Frank sich um die junge Frau kümmere. Er habe es die ganze Zeit über gewusst, aber was mache das schon, nicht wahr? Höre deshalb die Welt auf, sich zu drehen? Fallen Vögel von den Ästen? Geht die Sonne für immer unter? He,? Niemals würde Frank vergessen, wie sehr es ihn bei diesen Worten schüttelte, dass er kurz davor war, den Revolver vom Tisch zu nehmen, ihn sich an die Stirn zu setzen ...
    Der Dicke, der Franks Gedanken zu lesen schien, schlug mit der Handfläche auf den Tisch und rotzte heraus, dass er eben das nicht akzeptieren würde, wobei brauntabakiger Speichel aus seinem Mund spritzte. Man würde in einem solchen Fall beide Männer hinrichten. Man habe Wetten abgeschlossen. Es ginge um viel Geld. Fünfzehn, zwanzig Männer murrten zustimmend.
    Frank erspart sich, das Hin und Her zu beschreiben, dass es bald fünfzehn Minuten und unzählige Versuche - zwischen denen die Trommel der Waffe immerfort ins Leere gedreht wurde - gebraucht hatte, bis es geschah.
    »Wer zuerst, Sie oder ich, Allemand?«
    Frank erspart sich, seiner Familie die Todesangst zu schildern, die einen überfällt, wenn sich der Stahl an die Schläfe drückt, zu schildern, wie man seinen knochigen Schädel unter der Kopfhaut spürt, wie die Ohren unter den Schläfen zu reißen scheinen, wie jeder Atemstoß zu einer Qual wird, wie das Herz so schnell schlägt, dass man hofft, es setze endlich aus, damit dies alles ein Ende habe, wie sich alles in einem auflöst und nur eine entsetzliche Leere zurückbleibt. Da vermisst man den Film, der sich im Angesicht des Todes abrollen soll, vermisst die Sühne und das Gebet. Was bleibt, ist Leere, das Augenpaar gegenüber, der Schweiß, der den Körper dampfen lässt, absolute Stille und die erbärmliche, feige, selbsterhaltende Entscheidung, die man trifft.
    Und sie schossen, überlebten, tauschten den Revolver, überlebten und das Klicken, wenn der Bolzen auf die leere Hülse traf, hallte zwischen den Palmen und Bambushütten wider. Papageien kreischten und flatterten auf ihren Sitzhölzern.
    Die Umstehenden applaudierten, gestikulierten, Geldscheine wechselten den Besitzer und erneut legte sich ohrenbetäubende Stille über den Dschungel.
    »Wer zuerst, Sie oder ich, Allemand?«
    Und Frank erschoss Colonel Legrange.
    Je suis désolé, mon ami!
    Er tötete seinen Freund.
    Diejenigen, die gewonnen hatten, jubelten und schafften die Leiche von Colonel Legrange weg, während Frank wie gelähmt ins Nichts starrte und versuchte, diesen Albtraum zu Ende zu träumen.
    Man scherzte, als man ihm den zusammengerollten Teppich unter die Achseln schob. Man riss ihm die Uniform vom Leibe und steckte ihn in fadenscheinige Bauernkleidung. Er wurde auf einen Karren geworfen und in die nächste Stadt gefahren. Von dort aus hatte er sich alleine durchzuschlagen.
    Vor Frank lag ein weiter Weg.
    Michele, der er später dies alles erklären musste, reagierte wie eine Furie. Er, Frank, habe ihren Freund erschossen, weil er
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