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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
Autoren: Volker Ferkau
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manchmal entnervend, immer anstrengend für Frank.
    Der Colonel erklärte, er führe einen so genannten Sokratischen Dialog mit Frank. Durch gezieltes Fragen und Gegenfragen versuche er, Frank die ihm eigene Einsicht seiner Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten bewusst zu machen. Im Sinne der von Sokrates konzipierten Weise handele es sich hierbei um eine Art geistige Hebammenarbeit.
    Sinn müsse gefunden werden, könne nicht gegeben werden!, meinte Colonel Legrange.
    Frank freundete sich mit diesem kantigen Franzosen an, dessen Intellekt und Gegenläufigkeit ihn beeindruckten.
    »Ich hatte von Legrange, der in Tunis bleiben musste, den Auftrag, während meiner kurzzeitigen Paris-Stationierung seiner Freundin einige Dokumente zu überbringen. Mit dieser Frau betrog ich ihn.«
    Frank atmet tief ein und schließt seine Augen. Am liebsten möchte er aufhören, möchte nach Hause fahren, möchte sich von der Vergangenheit loslösen, wäre da nicht Ottilie gewesen, die ihm gebannt zuhört.
    Frank fing mit Colonel Legranges Freundin ein Techtelmechtel an, endlose Spaziergänge an der Seine, fröhliche Stunden am Montmartre, laue Frühlingsabende in den Cafés der Stadt, so lange, bis das Regiment wieder abzog. Legrange stieß dazu, nun war man komplett.
    Frank nimmt einen Schluck Sprudel. »Ich war jung, ungebunden und es gibt Dinge im Leben, die geschehen, ohne dass man sie wirklich beeinflussen kann.«
    Nach zwei Wochen Liebe und Frühlingsduft, im April 1946, rückte Franks Truppe, das 3e régiment étranger d'infanterie , kurz 3. REI, genannt, in den Krieg.
    Saigon. Pfuhl und Hölle.
    Frank sieht auf, nimmt seine gefalteten Hände auseinander, findet das Gesicht von Ottilie, das von Lotte, im Hier und Jetzt, im Wohnzimmer der Jäckels und fühlt sich plötzlich in eine Wolke von Eindrücken eingehüllt. Es ist wie sein Traum, unwirklich und real gleichermaßen. Der süße Dunst des Dschungels, der modrige Odem nass glänzenden Blattwerkes, Farben, wie sie keine Kamera einfangen kann, umnebelt von Dunst und Grün, Menschen, die flatterig umherlaufen, in einer fremden Sprache plappern, klingelnde Fahrräder und noch mal Fahrräder, Mopeds, pockernde Motoren klapperiger Lastwagen, Gehupe, Palaver, Kinderlachen, Opiumhöhlen, Prostituierte, Hütten, an deren Dächern Schlangenhäute hängen, faserige Bambuswände, Schlamm und Staub, Schweine, die das am Boden verstreute Stroh durchwühlen, unzählige Hunde, die Vinh Nghiem Pagode, unterirdische Stollen und Gräben, in denen die Menschen ihr Hab und Gut vor dem französischen Kolonialregime verstecken.
    Saigon.
    Ab November ging der Krieg mit den Viet-Minh los.
    Also auf nach Hanoi und weiter in die grüne Hölle.
    Der Winter im Dschungel war schlimm. Hitze, Feuchtigkeit, Ungeziefer. Soldaten, die die Nerven verloren, die sich dem Diktat nicht fügten, wurden ausgepeitscht, aufs grausamste misshandelt. Colonel Legrange gab nie einen Strafbefehl, lavierte sich moralisch durch die Düsternis der Legion, behielt seine schwarzen Augen auf seine eigenen Männer gerichtet, passte auf sie auf wie ein Père, und als sich die Einheiten trennten, waren Frank und seine Kameraden auf sich alleine angewiesen und ausschließlich der Aufsicht von Colonel Legrange unterstellt. Dieu merci!
    Zwar behandelte der Colonel während der Dienstzeit Frank ebenso wie die anderen Soldaten mit distanziert gerechter Härte, aber in den Stunden, denen die Nacht folgt, wuchs und gedieh diese auf Verständnis und Respekt beruhende Freundschaft der beiden Männer.
    Frank war wiederholt drauf und dran, dem Colonel seinen Fehltritt mit Michele zu beichten, jedoch verließ ihn stets der Mut. Mehr als einmal hatte Legrange durch Umsicht und Erfahrung seines und das Leben der anderen Männer geschützt. Womöglich war etwas dran an seiner positiven Denkart und nichts konnte ihm etwas anhaben, vielleicht war er gefeit gegen die Widrigkeiten des Lebens - der Fehltritt seiner Michele hingegen, provoziert von jenem jungen Mann, dessen er sich wie an Sohnes statt angenommen hatte, würde die Seele des Colonels zerstören, da war sich Frank gewiss.
    Und er schämte sich.
    »Der Feldzug gegen die Vieth-Minh war eine schreckliche Sache und glaubt mir ...«, Frank sieht in die Runde. »Wenn heutzutage über die Amerikaner und über Vietnam gesprochen und geurteilt wird ... ich weiß, wie es ist, wenn du im Dschungel schlafen musst, wenn sich die Geräusche der unzähligen Tiere fast verrückt machen, und du schreien
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