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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
Autoren: Volker Ferkau
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sich nicht mehr kennen oder von einem anderen Planeten kommen.
    Draußen donnert es und über dem Haus entlädt sich ein Blitz.
    Wie ein einem Film!, grinst Tom. Wenn es spannend wird, rumpelt es am Himmel und Blitze zucken. Es fehlt nur noch, dass der Strom ausfällt und wir uns alle Kerzen unter das Kinn halten und uns gruselig ausgeleuchtet anstarren müssen.
    Er kichert aufgekratzt, zieht eine Schnute, setzt seine Brille wieder auf und mustert verlegen das Profil seines Vaters, der immer noch sprachlos scheint. Und schrecklich alt aussieht, mit bläulichen Bartstoppeln und mit tiefen Falten.
    Also, ich an seiner Stelle, denkt Tom, ich würde aufspringen, mich freuen und Otto auf die Schulter hauen. Ich würde ihm sagen, dass er ein alter Doofsack ist, aber dass es ein feiner Zug von ihm ist, seine Suppe wieder ausgelöffelt zu haben, denn Fehler machen wir schließlich alle mal.
    Aber ich bin fünfzehn und das sind Erwachsene!
    Was ein grundlegender Unterschied ist.
    Und Tom fragt sich, ob er den notwenigen Ernst vermissen lässt. Also strafft er sich und versucht jenem Bild eines Jugendlichen zu entsprechen, das man von ihm erwartet. Er schiebt seine Augenbrauen zusammen, nickt ernsthaft und umso länger er das tut, wird komischerweise seine Abscheu gegen Onkel Otto immer stärker, der versucht hat, die Familie Wille um ihr Geld zu bringen. Auch wenn sein Onkel Gründe dafür gehabt haben sollte – so etwas ist unverzeihlich!
    »Na gut.« Nach einer Schweigeminute wischt Frank sich Schweiß von der Stirn, schiebt den Scheck in den Umschlag zurück und wirft diesen auf die Tischplatte. »Ich bin auf deine Erklärungen gespannt, mein Lieber. Über diese Sache mit dem Geld reden wir später. Auch darüber, ob wir den Scheck überhaupt von dir annehmen. Aber vorher möchte ich mehr über Ottilie wissen.«
     
     
     

12
     
    Etwa zur selben Zeit steigt der 23 Jahre alte Münchner Arbeiter Josef Erwin Bachmann in den Nachtexpress nach Berlin. In seinem Gepäck hat er einen alten Revolver versteckt.
    Am nächsten Morgen wird er sein Ziel erreicht haben, es wird strahlender Sonnenschein herrschen. Morgen ist Gründonnerstag. In den Außenbezirken von Berlin wird nur wenig Verkehr herrschen.
    Rudi Dutschke, sogenannter SDS-Chefideologe, wird die Arbeit am Manuskript über seine Prag-Reise in der vergangenen Woche unterbrechen, sich auf sein Fahrrad schwingen und in die Innenstadt fahren, um eine Apotheke zu suchen. Er will Nasentropfen für Hosea-Che, seinen 12 Wochen alten Sohn, holen. Am Kurfürstendamm 140 wird Dutschke kurz Station machen. Im SDS-Zentrum möchte er bei der Gelegenheit noch etwas erledigen.
    Das wird um etwa 16 Uhr geschehen.
    Josef Bachmann wird schon eine ganze Weile gewartet haben, bis Rudi Dutschke das Haus verlässt.
    Kaum nachdem er Dutschke wahrgenommen haben wird, wird er sich direkt an ihn wenden und fragen: »Sind Sie Rudi Dutschke?«
    »Ja, der bin ich.«
    Josef Bachmann wird die Pistole aus der Jacke reißen und schießen.
    Insgesamt drei Schüsse wird er auf Dutschke abfeuern.
    Wäre dies heute Abend schon bekannt, würden sich viele Menschen um die Zukunft dieses Landes sorgen, denn sie werden den Rest ihres Lebens dort verbringen.
     
     
     

13
     
    In Berlin ist man stolz auf seine Grünflächen und darauf, weitläufigere Erholungsflächen zu haben als München. Parks, wohin das Auge schaut, Seen und Vororte, in denen Schauspieler und andere Prominente feine Häuschen besitzen und gut leben können.
    Am Rande eines dieser Erholungsgebiete, am Wannsee, haben sich jene angesiedelt, die man Neureiche nennt.
    Hier lässt es sich leben!
    Hier hat der Duft des Erfolges ein ganz eigenes Aroma. Den von Chromwachs und Blütendolden, von Grillfleisch und Wandfarbe.
    Montags bis freitags herrscht hier Ruhe, weil der Hausherr bei der Arbeit ist, nur die eine oder andere Haustür wird geöffnet, wenn die Hausfrau zum nächsten Konsum-Markt geht, einkaufen, ein Schwätzchen mit der Nachbarin haltend. Selbstredend nicht in Kittelschürze oder mit Lockenwicklern gar – diese Attitüde hat man abgelegt. Einkaufen gehen heißt: Auf den Laufsteg treten. Schwatzen heißt nun small talken!
    Samstagsmorgen wird der neue Wagen gewaschen und poliert, wobei das Transistorradio plärrt, weil das alle so machen, Gespräche über den Gartenzaun geführt und nette Nachbarn zum fröhlichen Bratwurstgrillen eingeladen werden. Im Sommer ist das mit dem Autowaschen eine besonders lustige Sache, weil man dann
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