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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
Autoren: Volker Ferkau
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Hemmschwelle, jemanden zu schlagen, einem anderen Menschen Gewalt anzutun, größer ist, als die Angst vor den Konsequenzen.
    Tom lässt es – so weit er es verhindern kann - gar nicht zu einer persönlichen Konfrontation kommen, und nimmt Umwege. Heute hat er sich aus dem Schulgebäude geschlichen, durch die Sporthalle, hat sich hinter Büschen durch den Park geschlagen, hin zur Siedlung, nicht weit weg vom Förderturm, Papas Arbeitsstätte, an Vadder Ronsmanns Taubenschlag vorbei, aufgepasst vor dem Schäferhund, der weiter weg immer noch bellt und lefzt und ihn um Haaresbreite erwischt hat, trotz der langen Kette, mit der er an einen Baum gebunden ist; weiter und verborgen hinter an Leinen aufgehängten Bettlaken, an den Wellblechgaragen vorbei, ein Schatten, niemand, den man einfach so einfängt. Ein Meister der Flucht. Heute wird Tom unbeschadet nach Hause kommen, aber viel zu spät – au weia!
    Er stakst mit Flamingoschritten weiter, erwacht, zurückgekehrt von seinem Gedankenausflug, zurück nach Bergborn.
    Bergborn mit seinen sechstausend Einwohnern hat eine eigene Zeche, mehr Tauben als Einwohner und einen für eine Bergarbeiterstadt untypischen Namen, der daher rührte, dass man noch vor sechzig Jahren in der Nähe einer Salzsaline kuren konnte. Einige Gebäude, deren Stuckfassaden unter Taubenkot bröckeln und ein Kurpark legen Zeugnis davon ab.
    Graue Häuser in dieser farblosen Straße, Fassaden, deren Stein brüchig ist, Fenster mit Holzrahmen, auf denen Fliegen im Ruß ersticken, Schornsteine, die sich im Alter zu beugen scheinen, invalide und verbraucht. In einem Fenster, das vielleicht noch schmutziger ist als die anderen, lehnt eine Frau mit den Unterarmen auf ein Kissen gestützt, wobei ihre Augen jeder Bewegung folgen, wie ein Vogel, der nach Beute späht.
    Es riecht nach Kohl, den man in großen Töpfen zusammen mit fettem Schweinefleisch siedet, den Dunst von in Essig eingemachten Gewürzgurken, Kartoffelschalen, die als Kaninchenfutter gekocht werden und Zigarettendämpfe, kalt und schwarz, dazu, wie ein Leitthema, der Treberdunst einer nahe gelegenen Brauerei.
    Eine Straße weiter langt Tom vor einem Haus an. Es hat vier Stockwerke. Dieser Kasten ist doppelt so hoch wie die anderen Häuser, hat einen Aschehof, gesäumt von dunkelfeuchten Zuchtlagern für flauschige Langlöffel, daneben Wellblechgaragen, in denen Autos rosten, dahinter ein Plumpsklo mit Senkgrube, das zwar trocken gelegt ist, jedoch trotz Kalk und Chemie vor sich hin stinkt, besonders im Sommer. Weiter hinten raus gibt es Anbauflächen für Kohl, Kartoffeln, Mohrrüben und Rhabarber, Gartenfläche, die alle nur den Acker nennen. Zwischen Kloschuppen scharren ein paar schlecht befiederte Hennen im Dreck, auf Futtersuche, und nur selten hört man sie gackern. Dieser alte Kasten passt irgendwie nicht zu einer adretten Kleingartenanlage Marke Lebensfreude Bergborn nebenan.
    Hier wohnt Tom mit Papa und Mama und seiner drei Jahre älteren Schwester Ottilie.
    Tom steigt das Treppenhaus hoch, auf den Holzstufen, die unter jedem Schritt stöhnen und ächzen, die der Junge jeden Tag immer wieder rauf und runter knarrt, zu den Toiletten, von denen es zwei im Erdgeschoss gibt, eine für Männer und eine für Frauen. Nachts braucht die Familie Wille das nicht, weil sie Pinkelpötte haben, welche, die man mit einem Drehdeckel verschließen kann.
    Wer ist hier für diesen Kohlgestank zuständig?  Ist es Frau Rampf, der Tom im Hausflur begegnet – Guten Tag Frau Rampf! - eine Frau mit trümmergestähltem Gesicht und Kittelschürze, oder ist es ihr Mann, der einen saftigen Tabakstumpen zwischen den Lippen knetet, mit Cordhose an, gehalten von Hosenträgern. Sie verschwinden in ihrer Wohnung.
    Dann ist da noch dieser verschleierte Schimmelgeruch, der vom Kohlenkeller aufsteigt. Da werden die Heizvorräte aufbewahrt, die Deputatkohle, die Papa umsonst kriegt, weil er auf der Zeche arbeitet. Dort unten hackt Tom regelmäßig Holz auf einem Stempel, den Papa aus dem Streb mitgebracht hat. Tom macht das einmal in der Woche, seine Finger sind alle noch dran. Wer weiß, vielleicht hat der alte Knopp, der eins unter den Willes wohnt und wirklich so heißt und wirklich ein ganz flaches Gesicht hat mit einer wirklich knolligen roten Knoppnase darin, das entsprechende Beil geklaut und hackt damit in seiner Küche grad einem Kaninchen den Kopf ab. Jedenfalls war das Beil vor ein paar Wochen verschwunden gewesen. Als Papa ein Neues hatte kaufen wollen,
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