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Heute bin ich blond

Heute bin ich blond

Titel: Heute bin ich blond
Autoren: Sophie van der Stap
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    Donnerstag, 17. Februar 2005
    »Sorry«, sage ich, als ich die Haare hinter mir auf dem Parkett sehe. »Das geht auf einmal so schnell.«
    Die Frau sieht mich im Spiegel an. Ich habe Fotos von mir mitgebracht, um ihr zu zeigen, wie ich die Haare am liebsten trage.
    Es sind die Fotos, die Martin vor drei Wochen gemacht hat, als ich noch meine eigenen Haare hatte. Seit meine Haarzellen den Kampf gegen die Chemo verlieren, sehe ich dem Mädchen auf den Bildern immer weniger ähnlich. Sie liegen auf dem Tisch, zwischen einem Perückenprospekt und einem gelbblonden Haarschopf, den die Frau mir eben gebracht hat. Vielleicht etwas in der Art? Ganz bestimmt nicht. Alle diese Frisuren machen mich zu einem Transvestiten, und als die Frau zu einer Perücke aus langen, dunklen Haaren greift, muss ich an den Gitarristen von Guns N’ Roses denken, nur dass die Mähne auf meinem eigenen Kopf sitzt. Grauenhaft.
    Der Perückenladen liegt in der Eingangshalle des AMC , des Akademisch Medisch Centrum in Amsterdam; im ersten Stock ist eine Kabine zum Anprobieren. Schön bequem für die Onkologiepatienten, die können nach der Infusion direkt dorthin. Neben mir sitzen meine Mutter, meine Schwester und Annabel, meine beste Freundin. Wir fühlen uns unbehaglich und sind alle ziemlich still, doch dann probiert Annabel eine der Perücken auf, und die Spannung löst sich. Sie sieht unmöglich aus. Wir müssen laut lachen.
    Ich betrachte meine Schwester mit ihrer dunklen Hochfrisur. Toll sieht sie aus. Wie ich trägt sie ihr Haar am liebsten hinten hochgesteckt, mit einer leichten Welle vorn. Ich betrachte Annabels dichte schwarze Haare und dann wieder das glänzende Haar meiner Schwester, die Kurzhaarfrisur meiner Mutter und schließlich die Büschel, die bei mir noch übrig sind.
    Die letzten drei Wochen ziehen im Schnelldurchlauf an mir vorüber, und ich begreife immer noch nicht, was ich hier soll. Was ich
hier
soll.
    Ich will weg, mich verstecken in der Geborgenheit meiner vier Wände. Nicht nur vor meiner Krankheit, sondern auch vor den Reaktionen der anderen, die nur bestätigen, was ich vergessen will. Nachbarn, die mich mitleidig ansehen. Gemüsehändler, die mir eine Extratüte Vitamine in den Einkaufskorb packen. Freunde, die mich fest in den Arm nehmen. Meine Familie, die mit mir weint. Mit nassen Augen schaue ich in den Spiegel und lasse die Frau mit meinen neuen Haaren spielen. Von meinen vollen Lippen ist nur noch ein bestürzter Strich übrig, quer durch mein Gesicht. Je länger die Frau an meinen Haaren herumzupft, desto dünner wird der Strich und desto verzweifelter werde ich. Ich sehe einfach unmöglich aus. Soeben bin ich mir im Spiegel abhandengekommen.
    Endlich verlasse ich die Kabine, mit einem Muttchenkopf, der nicht meiner ist. Es sieht potthässlich aus, und es juckt. Das ist keine Sophie mehr, nicht mal annähernd, das ist eine steife, langweilige alte Jungfer aus einem steifen, langweiligen Ort wie Wassenaar.
    Die Frau redet mir aufmunternd zu. Wir stehen im Aufzug und fahren hinunter, weg von der Kabine, zurück in die Eingangshalle.
    »Du musst dich erst damit anfreunden. Das geht nicht von heute auf morgen. Spiel ein bisschen damit, probier es aus, und in zwei Wochen bist das ganz du.«
    Jaja. Ganz ich. Ich – eine steife alte Jungfer? Ich – eine Stella?
    Ich drehe mich nach meiner Mutter um und sehe, dass auch sie feuchte Augen hat.
    Die Verkäuferin ist schon zwanzig Jahre im Geschäft, sagt sie, eine der wenigen, die mit den hippen Frisuren aus Japan und China arbeitet. »Von da kommen die hübschen, modernen Frisuren. Genau das Richtige für junge Mädchen wie dich.«
    Im Aufzug schaue ich noch einmal in den Spiegel, suche das Hippe, Junge, kann es aber nirgends entdecken. Ich sehe nur eine graue Maus mit einer Perücke auf dem Kopf.
     
    Ich ging schon den zweiten Monat in der Klinik ein und aus, als ich in der Ambulanz von Doktor K. landete. An einem Donnerstag, Anfang Januar. Es war ein Tag wie jeder andere, denn ich wusste noch nicht, dass ich eine ganze Tumorfamilie in der Lunge sitzen hatte. Genauer gesagt, an der Haut, die meine Lunge umhüllt, auch Lungenfell oder Pleura genannt. Nach mehreren Terminen bei verschiedenen Ärzten und zwei Besuchen in der Notaufnahme, wartete ich nun in einer neuen Ambulanz. Auf einen neuen Arzt, neue Schwestern, eine neue Krankenakte.
    Und da kam er, der x-te Weißkittel, der mich kurz untersuchen und mir später sein Beileid zu meiner schlimmen Prognose
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