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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
Autoren: Volker Ferkau
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möglich gewesen. Es gibt keine Widerworte! , war einer ihrer geflügelten Sätze. Das hätte schnell eine Backpfeife gesetzt. Papa war weniger streng, manchmal hatte Tom sogar das Gefühl, er genieße diese Wortwechsel.
    »Du hast Recht, Filius. In der Literatur nennt man es Wahrhaftigkeit, die nur ein Merkmal der Ehrlichkeit ist. Was du schreibst, muss deine innere Überzeugung widerspiegeln. Du gibst sozusagen der Wahrheit die Ehre. Nur so wirst du irgendwann ein guter Schriftsteller sein. Aber es geht nicht nur ums Schreiben. Merk dir für die Zukunft, dass du versuchen solltest, dein Handeln, das was du tust, immer mit deiner inneren Gesinnung übereinzustimmen. Dann bist du ein wahrhaftiger Mensch. Wer das nicht ist ...« Er machte eine Pause und fixierte Tom. »der lügt oder täuscht.«
    »Ja Papa.«
    »Ist das ein Probeexemplar?«
    »Nein Papa.«
    Papa nickte und lächelte. Er beugte sich vor und strich Tom über das Haar. Tom empfand sich unter der großen Hand, ungeachtet seiner einssechzig, ganz klein. »Eigentlich sollte man dir die Löffel lang ziehen, mein Freund.« Das Spider-Man-Heft behielt Papa bei sich und Tom schlich in das Zimmer, das er sich mit Ottilie teilte, und heulte ein bisschen.
    Seitdem durchsucht Mama den Schulranzen. Ob Papa die Anordnung dazugegeben hat, weiß Tom nicht, aber er vermutet, dass dies nicht so ist. Mama will sowieso immer alles überwachen.
    »Heute essen wir später, wenn Papa da ist.«
    Später, wenn Papa da ist, bedeutete Frühschicht. Gott sei Dank hat Papa die nächsten zwei Wochen Frühschicht. Wenn Papa Nachtschicht hat und tagsüber schläft, muss die ganze Familie auf Zehenspitzen durch die Wohnung schleichen, was Tom ganz schön nervig findet und was regelmäßig zu Konflikten führt.
    »Ich hab heute Abend noch viel damit zu tun, für den Besuch zu backen und zu kochen. Morgen kommt Oma Käthe aus Berlin und Onkel Rudi und Onkel Otto mit Tante Gina.«
    Lotte Wille sieht auf ihren Sohn hinunter.
    Tom fühlt sich ertappt. Er hat geträumt.
    Träum nicht so viel! Ist einer der Lieblingssätze seiner Lehrer, wenn er mal wieder aus dem Fenster einem Vogel beim Asthüpfen zuschaut. »Ist schon klar ... Ich weiß, Samstag ... morgen hast du Geburtstag«, stammelt er.
    Sie sagt immer Oma Käthe, als gebe es noch zig andere Omas. Dem ist aber nicht so. Oma Käthe ist Mamas Mutter. Von Papas Mutter, die andere Großmutter, weiß Tom so gut wie nichts. Die hat er noch nie gesehen. »Kommt Oskar auch?« Er mag Papas Kumpel, diesen Mann, der wie eine Kugel aussieht und so schöne Witze erzählt, wenn er ein paar Bier getrunken hat.
    »Der ist doch immer dabei.« Über Mamas Gesicht zieht ein Schatten. Sie mag Oskar Kowalke nicht besonders. Er hat einen schlechten Einfluss auf ihren Mann, denkt sie. Wenn Oskar bei einer Feier dabei ist, trinkt Papa zu viel, ist zu laut, produziert sich unnötig und am nächsten Tag hat sie den Salat und muss die Bierleiche pflegen.
    »Hol deine Schwester. Wir haben nur noch eine Stunde, bis Papa nach Hause kommt.«
    Toms Magen knurrt. Ob er sich schon mal eine Frikadelle klaut? Normalerweise nimmt Mama es mit Humor, wenn Tom Essen stibitzt, hier mal eine Scheibe Wurst, da mal etwas Speck, denn er sieht ihr gerne beim Kochen zu, heute indessen scheint sie ziemlich angespannt zu sein. Da ist mit ihr nicht zu spaßen.
    Wie auf Stichwort betritt ein Mädchen den Raum.
    Einen Herzschlag lang herrscht absolute Stille, sogar die Wanduhr hat zu ticken aufgehört. Die Natur hat Ottilie Wille dunkelbraune Augen und goldblondes Haar geschenkt, diese seltsame Kombination, die jetzt schon die Blicke der Männer herausfordert. Die sanfte Blässe von Hals und Schultern über einem himmelblauen Kleid verleiht ihrer Persönlichkeit etwas anziehend Fremdes. Romanautoren und alte Menschen denken in so einer Situation an eine Nymphe, die einem See entstiegen ist, an ein Wesen, filigran wie Gaze, anmutig wie eine Frühlingsblume.
    Ottilie lächelt, ihr Blick findet an Mama und Tom vorbei das Fensterbrett, auf dem Kakteen stehen und eine Amaryllis.
    Das Rote an ihren Armen, so dunkel, so schwer, schafft einen verwirrenden Kontrast zum wolkenluftigen Kleid. Armschmuck? Eine Verirrung der Mode? Beide Arme sind rot und glänzend feucht.
    Es tropft von der hellen Haut, tropft blutig auf das Balatum.
    Mit einem Aufschrei lässt Mama das Schüreisen fallen und Tom weiß, dass der heutige Bräunungswettbewerb fürs Erste nicht stattfindet.
     
     
     

5
     
    Ohne
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