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Allerseelen

Allerseelen

Titel: Allerseelen
Autoren: Cees Nooteboom
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das dann, als habe er sich eine schwere Krankheit zugezogen. Er hatte sich eine stereotype Antwort zurechtgelegt, die in der Regel ihre Wirkung tat.
    »Ich bin gern da, es ist ein ernsthaftes Volk.«
    Die Antwort darauf lautete gewöhnlich »Kann schon sein« oder etwas Ähnliches. Eigenartig, niederländische Umgangsformen zu erklären. Wie soll ein Ausländer, auch wenn er Niederländisch gelernt hat, wissen können, daß diese halb bejahende Antwort nun gerade zynischen Zweifel ausdrückt?
    In der Zeit, während der ihm diese Worte durch den Kopf gingen, war Arthur Daane an dem Spirituosengeschäft Knesebeck-/Ecke Mommsenstraße angelangt, dem Punkt, an dem er meist nicht wußte, ob er umkehren oder weitergehen sollte. Er blieb stehen, schaute auf die glänzenden Autos in dem Ausstellungsraum auf der gegenüberliegenden Straßenseite, sah den Verkehr auf dem Kurfürstendamm und dann sein eigenes Abbild im Spiegel einer Champagnerreklame im Schaufenster des Spirituosengeschäfts. Das gräßlich Sklavische von Spiegeln. Sie würden einen stets reflektieren, sogar wenn man, wie jetzt, überhaupt keine Lust dazu hatte. Er hatte sich an diesem Tag schon einmal gesehen. Doch nun war er gewappnet, stadtgerecht gekleidet, das war etwas anderes. Er wußte einiges über sich selbst und fragte sich, was davon für andere sichtbar war.
    »Alles und nichts«, hatte Erna gesagt. Was sollte er jetzt mit Erna an der Ecke Mommsenstraße?
    »Ist das dein Ernst?«
    »Aber hallo!« So etwas konnte nur Erna sagen. Es begann zu schneien. Er sah im Spiegel, wie sich die leichten Flocken an seinem Mantel festsetzten. Gut, dachte er, dann sehe ich weniger wie aus der Werbung aus.
    »Red doch keinen Stuß.« Auch das würde Erna sagen. Dieses Thema hatten sie schon öfter durchgekaut.
    »Wenn du meinst, du siehst wie aus der Werbung aus, dann mußt du eben andere Klamotten kaufen. Keinen Armani.«
    »Das ist kein Armani.«
    »Aber es sieht aus wie Armani.«
    »Genau das mein ich ja. Ich weiß nicht mal, was für eine Marke das ist, war irgendwo runtergesetzt. Hat nichts gekostet.«
    »Dir steht einfach alles.«
    »Sag ich ja, ich seh aus wie aus der Werbung.«
    »Du kannst dich selbst nicht leiden, das ist alles. Das ist das Alter. Kommt öfter vor bei Männern.«
    »Nein, das ist es nicht. Ich sehe einfach nicht aus, wie ich denke, daß ich bin.«
    »Du meinst, du überlegst dir alles mögliche, worüber du nie sprichst, und wir können das nicht sehen?«
    »So ungefähr.«
    »Dann mußt du dir die Haare anders schneiden lassen. Das ist keine Frisur, das ist ’ne Krankheit.«
    »Also doch.«
    Erna war seine älteste Freundin. Durch sie hatte er seine Frau kennengelernt, und sie war die einzige, mit der er noch über Roelfje sprach. Andere Männer hatten Freunde. Die hatte er auch, aber sein bester Freund war Erna.
    »Ich weiß nicht, ob ich das als Kompliment betrachten soll.«
    Manchmal rief er sie an, mitten in der Nacht, von irgendeinem gottverlassenen Ort am Ende der Welt. Sie war immer da. Die Männer kamen und gingen in ihrem Leben, zogen bei ihr ein, waren eifersüchtig auf ihn. »So ein Blender, dieser Daane. Ein paar läppische Dokumentarfilme, und läuft durch die Stadt, als sei er Claude Lanzmann persönlich.« Das war dann meist das Ende einer Beziehung. Von diesen Männern waren ihr drei Kinder geblieben, die alle aussahen wie sie.
    »Das kommt davon, wenn du dir immer nur solche nichtssagenden Typen aussuchst. Wirklich eine lächerliche Zuchtwahl. All diese Weicheier. Dann hättest du noch besser mich nehmen können.«
    »Du bist meine verbotene Frucht.«
    »Von der Liebe, die Freundschaft heißt.«
    »Genau.«
    Er drehte sich um. Das bedeutete: Kurfürstendamm – nein, Savignyplatz – ja. Es bedeutete auch, daß er wieder an der Buchhandlung Schoeller vorbeikam. Was war das nur für eine Nische, nis , in der Sprache? Bekümmernis, Ereignis, Bekenntnis, Finsternis. Es begann stärker zu schneien. Es kam durch die Arbeit mit Kameras, dachte er, daß man sich ständig selbst gehen sah. Nicht als Form von Eitelkeit, eher so etwas wie Staunen, gemischt mit, na ja … Auch darüber hatte er einmal mit Erna gesprochen.
    »Warum sagst du’s nicht einfach?«
    »Weil ich es nicht weiß.«
    »Quatsch. Du weißt es ganz genau. Wenn ich es weiß, dann weißt du es auch. Du kannst es bloß nicht sagen.«
    »Welches Wort kommt dann?«
    »Angst. Bestürzung.«
    Er entschied sich für Bestürzung.
    Jetzt nahm die Kamera mit einem langen
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