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Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters

Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters

Titel: Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters
Autoren: Tillmann Bendikowski
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ersten Kindergartenfest eine auf ihre Art bezaubernde Kindergärtnerin. »Die Kinder, vor allem die Jungs, müssen so hoch singen«, erklärte sie mir sanftmütig, »die brummen sonst später.« Ich war überrascht – und spontan überzeugt: Ich wollte ja auch nicht, dass meine Söhne später brummen. Wie hört sich das denn auch an – und wer weiß, inwieweit eine solche Untugend später auf dem internationalisierten Arbeitsmarkt nicht einen Standortnachteil darstellt?
    Also hieß es in den Folgejahren, dem möglichen Brummen den Kampf angesagt und die Stimme empor! Eine gute Grundlage dafür bot mir jenes wunderschöne Liederbuch, das mir Kollegen zur Geburt unseren Ältesten schenkten, mit entzückenden Zeichnungen (wirklich!), einer gelungenen Liedauswahl – aber leider die allermeisten in F-Dur. Das ist gerade für Zeitgenossen mit oberflächlichen Gitarrenkenntnissen so ziemlich die fieseste Tonart, die es zu spielen gibt, weil man sich sowohl beim F wie beim B fast die Finger bricht, um einen halbwegs sauberen Akkord hinzubekommen. Und außerdem waren die Lieder in dieser Tonart fast alle zu hoch gesetzt – es war halt, so musste ich einsehen, ein Liederbuch von Müttern für Mütter. Ich war als Mann schlicht der falsche Adressat (vielleicht findet sich ja mal ein Verlag, der Liederbücher für Kinder und Väter herausgibt). An sich sehr feine Melodien wie »Es tönen die Lieder, der Frühling kehrt wieder« können – so musste ich jetzt erkennen – zu einer empfindlichen Waffe im Hochfrequenz-Bereich werden, wenn sie zu hoch angestimmt werden und sich dann die beteiligten Sängerinnen beim finalen »la lala lala lala la la« in schwindelerregende Höhen schrauben. Himmel, hilf!
    Die dramatische Zuspitzung allgemeinen Singbemühens für Kinder stellt fraglos die Weihnachtszeit dar – dies ist neben vielen anderen außergewöhnlichen Momenten die Zeit der kollektiven musikalischen Entgleisungen: Wer »Stille Nacht, heilige Nacht« von Beginn an zu hoch anstimmt, fängt schon bei »alles schläft« an zu quietschen – von Schlaf dürfte da auch bei einem neugeborenen und von Natur aus nachsichtigen Heiland kaum die Rede sein. Ohnehin sind bei den zu hoch gesungenen Weihnachtsliedern leider allzu oft die textlich eigentlich schönsten Stellen betroffen: »Es kommt ein Schiff geladen« singt sich zu Beginn ja noch recht harmonisch, beim nicht unwichtigen Zusatz »trägt Gottes Sohn voll Gna-a-a-a-den« werden die meisten Sangesschwestern (von den -brüdern ganz zu schweigen) allerdings unter akustischen Fehlversuchen schließlich abgehängt. Schade für Schiff und Gottes Sohn.
    Wie das adventliche Singen heute – gottlob – noch im Kindergarten stattfindet (daheim plärren oft genug Kassetten und CD s), so ist auch der herbstliche Laternenumzug ein gern gepflegtes Ritual in deutschen Kindergärten. Zu Recht: Wie schön das doch klingt, wenn alles singt, rabimmel rabammel rabum. Weil aber auch hier schwindelerregend hoch gesungen wird, trat ich nach meinem ersten Laternenumzug des Kindergartens im wahrsten Sinne des Wortes die Flucht nach vorne an: Ich meldete mich freiwillig dazu, dem eigentümlich trällernden Zug mit dem Akkordeon vorweg (!) zu schreiten. Schon im nächsten Jahr hatte ich den besten aller Plätze: Hier konnte ich ungestört Akkordeon spielen, brauchte nicht dazu singen (»Ihr wisst ja, Männer können nicht zwei Dinge gleichzeitig, ha ha«) und war denkbar weit weg von den beiden beherzt singenden Erzieherinnen, die die Kinder-Eltern-Meute von hinten musikalisch zusammenhielten. Vor mir meine Akkordeonmusik, hinter mir das mehr oder weniger ambitionierte Gebrummel der Eltern und ein paar suchende Kinderstimmen, während die engelsgleichen Stimmen der Erzieherinnen nur noch leise zu mir herüberwehten. (Ich kenne übrigens einen Vater, den das hohe Singen bei Martinsumzügen dazu brachte, sich jedes Jahr freiwillig als heiliger Martin zu melden, um dem Treiben auf einem Pferd vorneweg zu ziehen – »In der Rolle darf ich nämlich gar nicht singen«).
    Ich weiß nicht, ob der Papst dieses Buch liest (wahrscheinlich hat er doch zu viel zu tun, wiewohl ihm ein bisschen Einblick in die Welt der Mütter ja auch nicht schaden könnte …) – aber an dieser Stelle darf ich getrost einmal seine Kirche loben. Denn dort kann ich stimmlich mithalten, weil während des Gottesdienstes die Lieder durchaus singbar sind. Na ja, vorne steht immer ein Mann (der Priester nämlich), und der ist
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