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Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters

Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters

Titel: Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters
Autoren: Tillmann Bendikowski
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zumindest in stimmlicher Hinsicht auch nur ein normaler Mann. Und man kann von katholischen Priestern halten, was man will – aber der Gerechtigkeit halber muss ich sagen, dass mir bislang kein Fall bekannt ist, wonach einer von ihnen am Rheinufer sein langes Haar kämmte und singend die armen Schiffer in ihr Verderben lockte. Allerdings – so viel Kritik muss sein (selbst wenn der Papst jetzt doch mitlesen sollte) – ein wenig brummen tun einige Priester schon. Ob da frühkindlich etwas versäumt wurde? Vielleicht überdenke ich meine Skepsis gegenüber den hohen Tönen noch einmal …

WAS TUN BEI EINER REINHARD-MEY-ALLERGIE?
    Aber das Thema Gesang und seine Auswirkung auf Kinder in den ersten Lebensjahren ist viel zu wichtig, um es mit einigen spöttischen Bemerkungen über die Loreley und das zu hohe C abzutun. Tatsächlich ist nämlich für die frühkindliche Entwicklung und die elterlichen Ohren neben der Stimmlage mindestens so entscheidend, welche Lieder angestimmt werden. Ich selbst habe da zugegebenermaßen ein ganz persönliches Schreckerlebnis, das mich in den vergangenen Jahren in meiner musikalischen Wahrnehmung der Welt geprägt hat – und dies leider nicht zum Positiven. Ich hatte nämlich einmal einen ziemlich scheußlichen Traum, in dem der berühmte und beliebte Rolf Zukowski und seine Freunde eine nicht unerhebliche Rolle spielten: In diesem Traum fand ich mich mit vielen anderen Kindern und Müttern in einem erschreckend dunklen Veranstaltungsraum wieder, in dem alle tanzten und erkennbar ausgelassen waren, nur bei mir wollte keine rechte Feierlaune aufkommen. Das dürfte wohl auch daran gelegen haben, dass ich der Einzige im Saal war, der auf einem Stuhl gefesselt war und obendrein einen Knebel im Mund hatte. Als alle ausgiebig mit dem Finger auf mich gezeigt hatten, begannen Rolf und seine Kumpels mit dem organisierten Lustigsein, und bald schon tobte der ganze Saal. »Das Wetter, das Wetter spielt wieder mal verrückt«, grölten alle zusammen. Nur ich fühlte mich irgendwie außen vor – die einfach gestrickte Musikware war Gift für mein Kleinhirn. Zum Glück war der Spuk bald vorbei, allerdings nicht ohne vorher seinen dramatischen Höhepunkt erreicht zu haben: Einige fröhliche Mütter wollten mir »Ein Herz für Kinder« auf die Stirn tätowieren. Ich wachte schweißgebadet auf – gerade noch rechtzeitig.
    Nach diesem Albtraum brauchte ich verständlicherweise einige Zeit, um musikalisch wieder auf die Beine zu kommen. Manchmal rauschen mir unvermittelt »Schnappi«-Zeilen durch den Kopf (vorzugsweise »Ich beiß dem Papi kurz ins Bein, und dann, dann schlaf ich einfach ein«). Doch ansonsten fahre ich hinsichtlich meiner weiteren musikalischen Genesung mit bewusster Reizreduzierung ganz gut, trinke viel Kräutertee und überlege in leichtsinnigen Momenten sogar, ob Yoga meinem Leben guttun könnte. Meine Entspannung machte mich zugleich für eine Frage bereit, die mich seither umtreibt. Sie resultiert aus einem abendlichen Gesangsversuch mit meinen Söhnen, zu dem ich – wie ich dies von Zeit zu Zeit mache – zur Gitarre griff. »Wind Nord-Ost, Startbahn null drei«, begann ich fröhlich in Gedanken an alte Zeiten, doch zu meinem Schrecken brach mein Jüngster umgehend in Tränen aus. Erschrocken brach ich den Ausflug über die Wolken ab. Ich fühlte mich schuldig; rasch versuchte ich es mit einem Liedwechsel hin zu einem niedlichen Tier (»Es gibt Tage, da wünscht ich, ich wär mein Hund«) – wieder Geheul. Auch andere Vielbeiner (»Alles, was ich ha-ha-be, ist meine Küchenscha-ha-be …«) provozierten wieder nur Tränen. Von Schlachten an Buffets oder vermeintlich mordenden Gärtnern ließ ich selbstredend die Finger. Doch die unterschiedlichen Sensibilisierungsversuche hatten es an den Tag gebracht: Mein Jüngster litt eindeutig an einer Reinhard-Mey-Allergie. Menschenjunges, dachte ich, jetzt ist guter Rat teuer.
    In den kommenden Wochen suchte ich nach Antworten in der Literatur, musste allerdings einsehen, dass die einschlägigen Elternratgeber an diesem Punkt aufreizend schwiegen. Auch Internetforen halfen nicht weiter, sicherlich ist anderen Eltern eine solche kindliche Überreaktion eher unangenehm. Immerhin erbrachten meine Recherchen zum Thema erhebliche Einsichten über das Singen im Allgemeinen und das Singen der Deutschen im Besonderen. Denn bei der Betrachtung der historischen Abhandlungen muss man bald den Eindruck gewinnen, dass es für die Deutschen im
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