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Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters

Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters

Titel: Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters
Autoren: Tillmann Bendikowski
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Ehering glänzt kurz in der Sonne) schlüpfen behände in das Frischhaltebeutelchen, in dem bislang geduldig die Weintrauben warteten – vor der Abfahrt selbstverständlich gewissenhaft gewaschen. (Es sind selbstverständlich Bio-Trauben, von den anderen bekommt man das Gift ja gar nicht mehr ab; es geht ja auch um die Verantwortung für die Gesundheit der Familie.) »Hier«, sagt sie – die Frau mit den zartgliedrigen Fingern – ebenso knapp wie liebevoll. Man spricht miteinander. Auch bei der Gattenfütterung. »Hier.«
    Sie sorgt für ihn. Bei Tempo 130. Die Autobahn ist voll; es ist so wie immer, hier ein wenig stockend, da mal ein Stau, das Leben halt. Ansonsten hat alles seine Ordnung, jedenfalls im Familienauto. Der Junge immer hinten rechts, das Mädchen (zwei Jahre jünger, der typische Mittelklassewohlstand-Altersabstand in den Stadtrandgebieten) hinten links. Papa fährt. Das war schon immer so. »Mein Mann ist ja so ein zuverlässiger Fahrer«, sagt sie in größerer Runde, was der Gemahl mit einem gutmütigen, leichten Nicken zu bestätigen weiß. »Ihr wisst ja, die langen Strecken«, könnte er noch hinzufügen, meistens ist dies aber gar nicht nötig, weil es bei fast allen Freunden und Bekannten doch genauso ist. Man spielt mütterliche Ehrfurcht vor dem großen Wagenlenker der Familie (man mag an die vielen anderen großen Wagenlenker der Geschichte denken, stolze Krieger, Alexander der Große und solche Leute) – und alle wissen nur zu gut, dass der die Sache nur so lange im Griff hat, wie er beizeiten ordentlich gefüttert wird. Denn welche kluge Mutter will sich und die Kinder schon von einem leicht unterzuckerten Jähzorn mit überhöhter Geschwindigkeit über die Überholspur der A 7 katapultieren lassen?
    »Noch ein Schinkenbrot?« Die familiäre Autogemeinschaft hat sich solidarisch hinter den Fahrer geschart; sie teilen seine Flüche über die anderen (»Fahr, du Bauer!«), bangen mit ihm, wenn es einmal knapp werden sollte (»Festhalten!«). Sie weiß, was er braucht (»nimm noch einen Schluck«), ist aufmerksam bis an die Grenze der Bevormundung (»warte, ich habe hier noch eine Serviette«); und sollte sie die Grenze zu offensichtlich überschreiten, wird er sich schon unwirsch wehren (»Jetzt nicht!«). Gleichwohl: Die Gemahlin putzt ihn (vielleicht knurrt er dabei höchstens so leise, dass es auch ein gutmütiges Schnurren sein könnte) doch irgendwann ab. Zartgliedrige Finger umsorgen ihn – so wie zuvor die Weintrauben. Vor den möglicherweise nörgelnden Kindern nimmt sie ihn in Schutz – »Ihr seht doch, dass Papa fährt«. So entschwebt der Gatte in höhere Verantwortungssphären, und die Mutter bleibt sorgsam und wachsam zurück. Zurück bleiben übrigens immer auch ein paar von den Weintrauben, die kleinen mit den braunen Stellen. Die isst Mutti dann selbst. Damit sie nicht weggeworfen werden.
    Übrigens: Wenn ich auf der Autobahn in einen Stau gerate, versuche ich – Jungs, aufgepasst! – möglichst schnell auf die rechte Spur zu gelangen. Wenn es so richtig langsam vorangeht, kann man mit einem Seitenblick nach links genau die Mütter sehen, die mit der Gattenfütterung beschäftigt sind. Ihre Blicke sind wach, konzentriert; sie sind im Einsatz. Aber in manchen Momenten, wenn sie für einen kurzen Moment erschöpft in die Weite der Landschaft schauen, kann man den durch den Augenblick des Lebens huschenden Zweifel sehen, der sich in ihren Augen spiegelt. Gibt es ein richtiges Leben im falschen?

LORELEY UND IHRE SCHWESTERN
    Wenn Frauen singen, kann das eine schöne Sache sein. Muss es aber nicht. Beiläufig sei nur an die Loreley erinnert, die ja bekanntlich nicht nur ziemlich verlockend ausgesehen, sondern auch eine besondere Stimme gehabt haben soll – schließlich trieb sie damit arme Rheinschiffer ins Verderben. Entgegen der landläufigen Überlieferung vermute ich allerdings, dass die wackeren Männer nicht von der Lieblichkeit ihrer Stimme betört wurden und deshalb vom rechten Kurs abwichen, sondern dass sie vielmehr von dem viel zu hohen Gesang akustisch regelrecht aus der Kurve getragen wurden. Die Loreley dürfen wir uns mithin eher als eine Kollegin der Homer’schen Sirenen vorstellen. Auch wenn ich mit dieser Interpretation meines Wissens noch ziemlich allein stehe – ich bin sicher, dass Loreleys Schwestern leben. Und sie singen. Und zwar mit unseren Kindern. Und das viel zu hoch! »Warum müssen wir denn immer so hoch singen?«, fragte ich bei meinem
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