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Alle meine Wünsche (German Edition)

Alle meine Wünsche (German Edition)

Titel: Alle meine Wünsche (German Edition)
Autoren: Grégoire Delacourt
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Hause fahren soll, heute Abend zur friedlichen Essenszeit ankommen, den Schlüssel ins Schloss stecken, die Tür öffnen. An Wunder glauben. An das Lied von Reggiani, den Text von Dabadie:
    Est-ce qu’il y a quelqu’un
    Est-ce qu’il y a quelqu’une
    D’ici j’entends le chien
    Et si tu n’es pas morte
    Ouvre-moi sans rancune
    Je rentre un peu tard je sais.
    Ist jemand da
    Ist jemand da
    Ich höre schon den Hund
    Und wenn du nicht tot bist
    Öffne mir ohne Groll
    Ich komme etwas spät, ich weiß.
    Aber wenn sie das Schloss ausgewechselt hat? Wenn sie nicht da ist? Also beschließt er, einen Brief zu schreiben.
    Später, Wochen später, als er vollendet ist, bringt er ihn zur Post an der Place Poellart, neben dem Gerichtsgebäude. Er ist besorgt. Er fragt mehrmals, ob er ausreichend frankiert ist. Das ist ein wichtiger Brief. Er starrt auf die Hand, die seinen Brief voller Hoffnungen und Aufbruch in den Korb wirft; und sehr schnell fallen andere Briefe hinein, bedecken seinen, ersticken ihn, lassen ihn verschwinden. Er fühlt sich verloren. Er ist verloren.
    Er geht zurück in das große leere Haus. Dort steht nur noch das weiße Sofa. Er hat alles verkauft, alles verschenkt. Auto, Fernseher, Jason Bourne , die Omega; die Patek hat er nicht mehr gefunden, es ist ihm egal.
    Er wartet auf dem weißen Sofa. Er wartet, dass eine Antwort unter seine Tür geschoben wird. Er wartet lange, lange, und nichts kommt. Er zittert, und in den Tagen, die reglos verstreichen, wird sein Körper vor Kälte steif. Er isst nicht mehr, er bewegt sich nicht mehr. Er trinkt jeden Tag ein paar Schluck Wasser, und als die Flaschen leer sind, trinkt er nichts mehr. Manchmal weint er. Manchmal redet er mit sich selbst. Er spricht ihre beiden Namen aus. Das war die Symbiose, er hatte es nicht gesehen.
    Als seine Agonie beginnt, ist er glücklich.

    D as Meer ist grau in Nizza.
    Weit draußen die Brandung. Schaumspitzen. Ein paar Segel, die winken, wie um Hilfe rufende Hände, die aber niemand mehr einholen wird.
    Es ist Winter.
    Die meisten Fensterläden an der Promenade des Anglais bleiben geschlossen. Sie sind wie Pflaster auf den wunden Fassaden. Die Alten bleiben in der warmen Stube. Sie sehen im Fernsehen die Nachrichten, den schlechten Wetterbericht. Sie kauen lange, ehe sie schlucken. Sie ziehen plötzlich alles in die Länge. Dann schlafen sie bei laufendem Fernseher auf dem Sofa ein, eine kleine Wolldecke über den Beinen. Sie müssen bis zum Frühling durchhalten, sonst wird man sie tot auffinden; mit den Temperaturen der ersten schönen Tage werden widerliche Gerüche unter den Türen, durch die Kamine, aus den Alpträumen hervorquellen. Die Kinder sind weit weg. Sie kommen erst mit der Wärme. Wenn sie das Meer, die Sonne, Opas Wohnung genießen können. Sie kommen wieder, wenn sie Maße nehmen, ihre Träume planen können: den Salon erweitern, die Schlafzimmer und das Bad neu machen, einen Kamin einbauen, einen Olivenbaum im Topf auf den Balkon stellen und eines Tages eigene Oliven essen.
    Vor fast anderthalb Jahren saß ich hier, allein, am selben Ort, bei derselben Kälte. Ich fror und ich wartete auf ihn.
    Ich hatte die Pflegerinnen im Centre lebendig, beruhigt verlassen. In wenigen Wochen hatte ich dort etwas von mir getötet.
    Etwas Schreckliches, das man Güte nennt.
    Ich hatte sie mich verlassen lassen, wie ein Geschwür, ein totes Kind; ein Geschenk, das man dir macht und gleich wieder wegnimmt.
    Eine Grausamkeit.
    Vor fast achtzehn Monaten hatte ich mich sterben lassen, um eine andere zur Welt zu bringen. Kälter, kantiger. Der Schmerz formt dich auf merkwürdige Weise neu.
    Und dann war Jos Brief gekommen, eine kleine Fermate in der Trauer um die, die ich gewesen war. Ein in Belgien abgeschickter Umschlag; auf der Rückseite eine Adresse in Brüssel, Place des Sablons. Drinnen vier Seiten seiner groben Schrift. Erstaunliche Sätze, neue Worte, wie geradewegs einem Buch entnommen: Ich weiß jetzt, Jo, dass die Liebe den Tod besser erträgt als den Verrat. Seine ängstliche Schrift. Am Ende wollte er zurückkommen. Nur das. Zu uns zurückkommen. Unser Haus wiederfinden. Unser Schlafzimmer. Die Fabrik. Die Garage. Seine kleinen Möbel. Unser Lachen wiederfinden. Und das Radiola und das alkoholfreie Bier und die Freunde am Samstag, meine einzigen echten Freunde. Und Dich . Mich wollte er wiederfinden. Wieder von Dir geliebt sein , schrieb er, ich habe verstanden, lieben heißt verstehen . Er versprach: Ich werde es
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