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Alle meine Wünsche (German Edition)

Alle meine Wünsche (German Edition)

Titel: Alle meine Wünsche (German Edition)
Autoren: Grégoire Delacourt
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nicht.
    Wir haben zwei Kinder. Eigentlich drei. Einen Jungen, ein Mädchen und eine Leiche.
    Romain wurde an dem Abend gezeugt, als Jo mir gesagt hat, dass er mich schön findet, und als ich wegen dieser Lüge den Kopf, mein Kleid und meine Unschuld verlor. Die Chance lag bei eins zu x-tausend, dass ich beim ersten Mal schwanger werde, und mich hat es getroffen. Nadine kam zwei Jahre später, und seither habe ich nie mehr mein Idealgewicht wiedergewonnen. Ich bin dick geblieben, so etwas wie eine leere Schwangere, ein mit nichts gefüllter Ballon.
    Eine Luftblase.
    Jo hat aufgehört, mich schön zu finden, mich anzufassen; er hat angefangen, abends vor dem Radiola rumzuhängen und das Eis zu essen, das sie ihm in der Fabrik gaben, dann »33«-Export-Bier zu trinken. Und ich habe mir angewöhnt, allein einzuschlafen.
    In einer Nacht hat er mich geweckt. Er war ganz hart. Er war betrunken, er weinte. Da habe ich ihn in mich aufgenommen, und in dieser Nacht hat sich Nadège in meinen Bauch geschlichen und ist in meinem Fleisch und meinem Kummer ertrunken. Als sie acht Monate später herauskam, war sie blau. Ihr Herz war stumm. Aber sie hatte entzückende Nägel, sehr lange Wimpern, und ich bin sicher, dass sie hübsch war, obwohl ich die Farbe ihrer Augen nie gesehen habe.
    Am Tag von Nadèges Geburt, der auch der Tag ihres Todes war, hat Jo aufgehört, Bier zu trinken. Er hat in unserer Küche Geschirr zerschlagen. Er hat geschrien. Er hat gesagt, das Leben sei zum Kotzen, das Leben sei eine Hure, eine gottverdammte Hure. Er hat gegen seine Brust, seine Stirn, sein Herz und die Wände getrommelt. Er hat gesagt: Ein Leben ist zu kurz. Ist ungerecht. Man muss es ausnutzen, Scheiße noch mal, weil man keine Zeit hat; mein Baby, hat er hinzugefügt und Nadège gemeint, meine kleine Tochter, wo bist du? Wo bist du, mein Schatz?
    Romain und Nadine sind verschreckt in ihre Zimmer gerannt, und Jo hat an diesem Tag angefangen, von den schönen Dingen zu träumen, die das Leben süßer und den Schmerz weniger stark machen. Flachbildschirm. Porsche Cayenne. James Bond . Und eine hübsche Frau. Er war traurig.
    Mich haben meine Eltern Jocelyne genannt.
    Die Chance lag bei eins zu Millionen, dass ich einen Jocelyn heirate, und mich musste es treffen. Jocelyn und Jocelyne. Martin und Martine. Louis und Louise. Laurent und Laurence. Raphaël und Raphaëlle. Paul und Paule. Michel und Michèle. Eins zu Millionen.
    Und mich hat es getroffen.

    I ch habe den Kurzwarenladen im Jahr meiner Hochzeit mit Jo übernommen.
    Ich hatte schon zwei Jahre dort gearbeitet, als der Eigentümerin ein Knopf in der Kehle stecken blieb, auf dem sie herumbiss, um sich zu überzeugen, dass er wirklich aus Elfenbein war. Der Knopf glitt über die feuchte Zunge, kroch zum Kehlkopf, griff ein Schlundschnürerband an und verzog sich in die Luftröhre; weil der Knopf alles verstopfte, hörte sich Madame Pillard nicht mal ersticken, ebenso wenig wie ich.
    Das Geräusch eines Sturzes rief mich herbei.
    Der Körper riss im Zusammenbrechen die Knopfschachteln mit sich; achttausend Knöpfe rollten durch den kleinen Laden, und das war das Erste, was ich dachte, als ich das Drama entdeckte: Wie viele Tage und Nächte würde ich damit verbringen, auf allen vieren die achttausend Zierknöpfe, Metallknöpfe, Holzknöpfe, Kinderknöpfe, Haute-Couture-Knöpfe usw. zu sortieren?
    Der Adoptivsohn von Madame Pillard kam aus Marseille zur Beisetzung, er schlug mir vor, den Laden zu übernehmen, die Bank war einverstanden, und am 12. März 1990 kam ein feinsinniger Maler und schrieb Kurzwaren Jo, vormals Maison Pillard auf den Giebel und die Tür des kleinen Ladens. Jo war stolz. Kurzwaren Jo , sagte er und streckte die Brust vor, als hätte man ihn ausgezeichnet, Jo, Jo bin ich, das ist mein Name!
    Ich sah ihn an und fand ihn schön, und ich dachte, dass ich Glück hatte, ihn zum Mann zu haben.
    Dieses erste Ehejahr war großartig. Der Laden. Jos neue Arbeit in der Fabrik. Und die bevorstehende Geburt von Romain.
    Aber bis heute ist der Laden nie besonders gut gelaufen. Ich kämpfe gegen die Konkurrenz von vier Shoppingcentern und elf Supermärkten, die ruchlosen Preise des Kurzwarenhändlers auf dem Samstagsmarkt, die Krise, die die Menschen ängstlich und geizig macht, und die Trägheit der Frauen von Arras, die die Leichtigkeit des Prêt-à-porter der Kreativität des Selbstgenähten vorziehen.
    Im September werden gewebte Etiketten zum Annähen oder Aufbügeln bestellt;
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