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Alle meine Wünsche (German Edition)

Alle meine Wünsche (German Edition)

Titel: Alle meine Wünsche (German Edition)
Autoren: Grégoire Delacourt
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lebte. Mein Leben hat nicht die perfekte Anmut, die sie mir abends wünschte, wenn sie sich zu mir ans Bett setzte, wenn sie sanft mein Haar streichelte und flüsterte: Du hast Talent, Jo, du bist intelligent, du wirst ein schönes Leben haben.
    Sogar die Mütter lügen. Weil sie ebenfalls Angst haben.

    N ur in den Büchern kann man sein Leben wechseln. Kann man alles mit einem Wort auslöschen. Das Gewicht der Dinge verschwinden lassen. Die Gemeinheiten ausradieren und sich am Ende eines Satzes plötzlich am Ende der Welt wiederfinden.
    Danièle und Françoise spielen seit achtzehn Jahren Lotto. Jede Woche leisten sie sich für zehn Euro Träume für zwanzig Millionen. Eine Villa an der Côte d’Azur. Eine Weltreise. Oder auch nur eine Reise in die Toskana. Eine Insel. Ein Lifting. Einen Diamanten, eine Santos Dumont Lady von Cartier. Hundert Paar Louboutin und Jimmy-Choo-Schuhe. Ein rosa Chanel-Kostüm. Perlen, echte Perlen wie Jackie Kennedy, sie war so schön! Sie warten auf das Wochenende wie andere auf den Messias. Jeden Freitag rasen ihre Herzen, wenn die Kugeln durcheinanderwirbeln. Sie halten den Atem an, atmen gar nicht mehr; jedes Mal könnte man sterben, sagen sie im Chor.
    Vor zwölf Jahren haben sie einmal genug gewonnen, um Coiff’Esthétique zu eröffnen. Solange die Arbeiten dauerten, ließen sie mir jeden Tag einen Blumenstrauß bringen, und seither sind wir Freundinnen, obwohl ich eine heftige Allergie gegen Blumen entwickelt habe. Sie bewohnen zusammen die oberste Etage eines Hauses in der Avenue des Fusillés mit Fenstern zum Jardin du Gouverneur. Françoise hätte sich ein paar Mal beinahe verlobt, aber bei der Aussicht, ihre Schwester aufzugeben, hat sie lieber den Gedanken an Liebe aufgegeben; Danièle ist 2003 mit einem Vertreter für Shampoo, Pflegeprodukte und professionelle Haarfärbung von L’Oréal zusammengezogen, einem Großen, Finsteren mit Baritonstimme und rabenschwarzem Haar; einem Exoten. Sie war dem wilden Geruch seiner braunen Haut erlegen, war wegen der schwarzen Stoppeln auf den Gliedern seiner langen Finger dahingeschmolzen; Danièle hatte von tierischen Liebesakten geträumt, von Kämpfen, heißem Catching, ineinander verschlungenen Körpern, aber der große Affe hatte zwar ordentlich gefüllte Eier, sein Inneres jedoch erwies sich als leer, als unsäglich, katastrophal öde.
    Das war ein sehr guter Treffer, vertraute sie mir einen Monat später an, als sie mit ihrem Koffer in der Hand zurückkam, ein kapitaler Hirsch, aber nach dem Schuss nichts mehr, der Vertreter geht in die Heia, schnarcht, dann bricht er im Morgengrauen zu seinen haarigen Touren auf, Kulturniveau null, und ich, man kann sagen, was man will, ich brauche das Gespräch, den Austausch; wir sind doch schließlich keine Tiere, o nein, wir brauchen Seele.
    Am Abend ihrer Rückkehr waren wir zu dritt in der Coupole essen, Garnelen auf Chicoréebett für Françoise und mich, gratinierte Andouillettes d’Arras mit Maroilleskäse für Danièle: Was soll ich machen, für mich ist eine Trennung ein Loch, eine Leere, ich muss sie füllen, und nach einer Flasche Wein versprachen sie sich kreischend vor Lachen, sich nie mehr zu verlassen, oder, wenn die eine einen Mann treffen sollte, ihn mit der anderen zu teilen.
    Dann wollten sie ins Copacabana tanzen gehen, vielleicht finden wir zwei hübsche Jungs, sagte die eine, zwei Treffer, sagte die andere lachend, und ich ging nicht mit. Seit dem 14. Juli, als ich dreizehn war, seit L’Été indien und meiner sprießenden Brust tanze ich nicht mehr.
    Die Zwillinge verschwanden in der Nacht, nahmen ihr Lachen und ihr leicht ordinäres Absatzklappern auf den Pflastersteinen mit sich, und ich ging zu uns nach Hause. Ich überquerte den Boulevard de Strasbourg, ging die Rue Gambetta bis zum Justizpalast entlang. Ein Taxi kam vorbei, meine Hand zuckte; ich sah mich es heranwinken, einsteigen. Ich hörte mich sagen: Weit, so weit wie möglich. Ich sah das Taxi mit mir auf der Rückbank losfahren, sah mich, ohne mich nach mir umzudrehen, ohne mich von mir zu verabschieden, ohne mir zuzuwinken, ohne jedes Bedauern; ich, die fortgeht und verschwindet, ohne Spuren zu hinterlassen.
    Das ist sieben Jahre her.
    Aber ich bin nach Hause gegangen.
    Jo schlief mit offenem Mund vor dem Radiola; ein Speichelfaden glänzte an seinem Kinn. Ich habe den Fernseher ausgemacht. Habe eine Decke über seinen zusammengekrümmten Körper gelegt. In seinem Zimmer kämpfte Romain in der virtuellen
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