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Alle meine Wünsche (German Edition)

Alle meine Wünsche (German Edition)

Titel: Alle meine Wünsche (German Edition)
Autoren: Grégoire Delacourt
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Haut dampft, trotzdem zittert er. Seine Fingerkuppen sind blau und runzlig, als würden sie gleich abfallen. Er will nach Hause. Er ist entzweit. Geld bringt keine Liebe. Jocelyne fehlt. Er denkt an ihr Lachen, den Duft ihrer Haut. Er liebt ihre beiden lebenden Kinder. Er liebt die Angst, die er manchmal hatte, sie könnte zu schön, zu intelligent für ihn werden. Er liebte die Vorstellung, er könnte sie verlieren, sie machte ihn zu einem besseren Ehemann. Er liebt es, wenn sie von einem Buch aufschaut, um ihn anzulächeln. Er liebt ihre Hände, die nicht zittern, ihre aufgegebenen Designerträume. Er liebt ihre Liebe und ihre Wärme und versteht plötzlich die Kälte, das Eisige. Geliebt zu werden wärmt das Blut, lässt das Verlangen brodeln. Schaudernd kommt er aus der Dusche. Er trommelt nicht gegen die Wand, wie er es vor gar nicht so langer Zeit getan hat. Er hat es geschafft, seinen Schmerz um Nadège zu bändigen, er spricht nicht mehr darüber; Jocelyne fügt er diesen Schmerz nicht mehr zu.
    Er macht das Bier nicht auf. Seine Lippen zittern. Sein Mund ist trocken. Er sieht sich in dem großen Salon, in der Leere um. Die weiße Couch gefällt ihm nicht. Ebenso wenig der niedrige, vergoldete Tisch. Die Magazine, die niemand liest, die daliegen, damit es schick aussieht. Heute Abend gefallen ihm der rote Audi, die Patek-Uhr, die Mädchen, die man bezahlt und die einen nicht in den Arm nehmen, nicht mehr, ebenso wenig wie sein dicker Körper, die geschwollenen Finger und diese Kälte.
    Er macht das Bier nicht auf. Er lässt das Licht in der Eingangshalle an, falls zufällig Jocelyne heute Nacht kommt, falls ihn zufällig die Vergebung treffen sollte, und geht nach oben. Es ist eine große Treppe, Bilder von Stürzen tauchen auf. Vertigo . Vom Winde verweht . Panzerkreuzer Potemkin . Blut, das aus Ohren fließt. Splitternde Knochen.
    Seine Finger umklammern das Geländer; der Gedanke an Vergebung kommt erst, wenn man sich wieder aufrichtet.
    Er fährt nach London. Zwei Zugstunden, mit feuchten Händen. Wie wenn man zum ersten Rendezvous fährt. Vierzig Meter unter dem Meer bekommt er Angst. Er fährt zu Nadine. Zuerst hat sie abgelehnt. Er hat lange gedrängt. Hat regelrecht gefleht. Eine Frage von Leben und Tod. Sie fand diese Formulierung extrem melodramatisch, aber sie musste darüber lächeln, und in die Bresche dieses Lächelns hat er sich gestürzt.
    Sie sind im Caffè Florian verabredet, in der dritten Etage des berühmten Harrods. Er ist zu früh da. Er will den richtigen Tisch, den richtigen Sessel auswählen. Er will sie kommen sehen. Zeit haben, sie wiederzuerkennen. Er weiß, dass die Traurigkeit die Gesichter verwandelt, die Farbe der Augen ändert. Eine Kellnerin kommt. Mit einer Handbewegung bedeutet er ihr, dass er nichts will. Er schämt sich, nicht mal auf Englisch sagen zu können: Ich warte auf meine Tochter, es geht mir nicht gut, Fräulein, ich habe Angst, ich habe eine Riesendummheit gemacht.
    Da ist sie. Sie ist schön und schlank, und er erkennt die Anmut, die rührende Blässe von Jocelyne im Kurzwarenladen von Madame Pillard, damals, als er sich nie hätte vorstellen können, ein Dieb, ein Mörder zu sein. Er steht auf. Sie lächelt. Sie ist eine Frau; wie schnell die Zeit vergeht. Seine Hände zittern. Er weiß nicht, was er tun soll. Aber sie bewegt ihr Gesicht auf ihn zu. Küsst ihn. Guten Tag, Papa. Papa ; es ist tausend Jahre her. Er muss sich setzen. Er fühlt sich nicht besonders gut. Bekommt keine Luft. Sie fragt, ob es geht. Er antwortet ja, ja, das ist die Aufregung, ich freue mich so. Du bist so schön. Er hat gewagt, es seiner Tochter zu sagen. Sie errötet nicht. Sie ist eher blass. Sie sagt, es ist das erste Mal im Leben, dass du mir das sagst, Papa, etwas so Persönliches. Sie könnte weinen, aber sie ist stark. Er aber weint, der alte Mann. Er klammert sich fest. Hört ihn euch an. Du bist so schön, mein Töchterchen, wie deine Mutter. Wie deine Mutter. Die Kellnerin kommt wieder, gleitet lautlos heran, wie ein Schwan. Leise sagt Nadine in a few minutes, please , und Jocelyn erkennt an der Musik in der Stimme seiner lebenden Tochter, dass er eine Chance hat, mit ihr zu sprechen, und diese Chance ist jetzt. Also legt er los. Überstürzt. Ich habe deine Mutter bestohlen. Ich habe sie verraten. Ich bin weggelaufen. Ich schäme mich und ich weiß, dass es zu spät für die Scham ist. Ich. Ich. Er sucht nach Worten. Ich. Die Worte kommen nicht. Es ist so schwierig. Sag
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