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Alle meine Wünsche (German Edition)

Alle meine Wünsche (German Edition)

Titel: Alle meine Wünsche (German Edition)
Autoren: Grégoire Delacourt
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Meinem Vittorio Gassman; seit mehr als anderthalb Jahren lebe ich auch neben ihm. Er ist so schön wie am Tag unseres Kusses im Negresco, seine Lippen haben den Geschmack des Orange Pekoe bewahrt, aber wenn er jetzt meine küsst, rast mein Herz nicht mehr und meine Haut erschauert nicht.
    Er war die einzige Insel in meinem Schmerz.
    Ich rief ihn an, nachdem mir Jos Chef bestätigte, dass Jo eine Woche Urlaub beantragt hatte. An dem Tag, wo ich von seinem Verrat erfuhr. Ich hatte ihn angerufen, ohne einen Moment zu glauben, dass er sich an mich erinnern würde, vielleicht war er nur ein Jäger, der die Treue der Frauen mit einer Tasse Tee an der Bar des Negresco und der köstlichen Versuchung von Dutzenden freien Zimmern einschläferte. Er erkannte mich sofort wieder. Ich hoffte auf Sie, sagte er. Seine Stimme war ernst, ruhig. Er hörte mir zu. Er spürte meinen Zorn. Verstand die Verstümmelung. Und er sprach unseren Satz aus: »Lassen Sie mich Ihnen helfen.«
    Der Sesam, der mich öffnete. Mich endlich aufschnitt. Aus mir die ätherische Schöne machte, Ariane Deume am Rand des Abgrunds in Genf an einem Freitag im September 1937.
    Ich habe mir helfen lassen. Ich habe mich hingegeben.
    Wir gehen jeden Tag an den Strand, und jeden Tag setzen wir uns auf die unbequemen Steine. Ich will weder kleine Klappstühle noch Kissen. Ich will alles wie an unserem ersten Tag, dem Tag meines Traums als mögliche Geliebte, dem Tag, wo ich beschloss, dass weder Jos Bosheit noch meine Einsamkeit ausreichende Gründe waren. Ich bedauere nichts. Ich hatte mich Jo geschenkt. Ich hatte ihn ohne Rückhalt und ohne Hintergedanken geliebt. Ich habe schließlich sogar die Erinnerung an seine feuchte Hand auf meiner bei unserem ersten Rendezvous im Tabac des Arcades geliebt; ich weinte immer noch gelegentlich vor Freude, wenn ich die Augen schloss und seine ersten Worte hörte: Sie sind ein Gedicht . Ich hatte mich an seinen säuerlichen, animalischen Atem gewöhnt. Ich hatte ihm viel vergeben, weil die Liebe viel Vergebung verlangt. Ich hatte mich darauf eingestellt, an seiner Seite alt zu werden, ohne dass er mir noch einmal hübsche Worte, einen blumigen Satz gesagt hätte, Sie wissen schon, diese Dummheiten, die die Herzen der Mädchen erschüttern und sie für immer treu sein lassen.
    Ich hatte versucht abzunehmen, nicht damit er mich schöner fand, sondern damit er stolz auf mich war.
    Du bist schön, sagt mir der, der jetzt davon profitiert, wo ich doch für einen anderen schön sein wollte; aber ich würde dich gern ab und zu lächeln sehen, Jo. Er ist ein guter Mann, der keinen Verrat erlebt hat. Seine Liebe ist geduldig.
    Ich lächle abends, manchmal, wenn wir nach Hause kommen, in die riesige, wunderbare Villa in Villefranche-sur-Mer, deren Kaufvertrag ich ganz lässig , deren Scheck ich mit Leichtigkeit unterschrieben habe; wenn ich Papa wiedersehe, der auf der Terrasse sitzt, seine Pflegerin neben sich, Papa, der aufs Meer schaut und mit seinen Kinderaugen in den Wolken Pareidolien sucht: Bären, Schatzkarten, Zeichnungen von Maman.
    Ich lächle sechs Minuten lang, während ich für ihn in der Frische des Abends ein neues Leben erfinde.
    Du bist ein großer Arzt, Papa, ein emeritierter Professor; auf Vorschlag von Minister Hubert Curien zum Ritter der Ehrenlegion ernannt. Du hast ein auf dem Enzym 5-Lipoxygenase basierendes Medikament gegen den Riss des Aneurismas entwickelt und standest auf der Nobelpreisliste. Du hattest sogar schon eine Rede auf Schwedisch vorbereitet und hast sie jeden Abend in meinem Zimmer geübt, und ich habe über deinen rauen, tiefen Akzent gelacht. Aber dann haben den Preis Sharp und Roberts für ihre Entdeckung der Mosaikgene bekommen.
    Das war gestern Abend, und Papa hat sein Leben gefallen.
    Heute Abend bist du ein phantastischer Countertenor. Du bist schön, und die Frauen kreischen und ihre Herzen rasen. Du hast an der Schola Cantorum in Basel studiert und bist mit Giulio Cesare in Egitto von Händel berühmt geworden; ja, so hast du Maman kennengelernt. Sie hat dir nach deinem Auftritt gratuliert, sie ist in deine Garderobe gekommen, sie hatte Rosen ohne Dornen in der Hand, sie weinte; du hast dich in sie verliebt, und sie hat dich in ihren Armen aufgefangen.
    Seine glänzenden, glücklichen Augen füllen sich mit Tränen.
    Morgen erzähle ich dir, dass du der wundervollste, der unvergleichlichste Vater warst. Ich erzähle dir, dass Maman dich immer duschen ließ, wenn du von der Arbeit kamst,
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