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Alle lieben Merry

Alle lieben Merry

Titel: Alle lieben Merry
Autoren: Jennifer Greene
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… Sie haben Charlene noch nicht getroffen, stimmt’s?”
    Er klang eher ungläubig als fragend, aber Merry fand, dass momentan nicht die passende Gelegenheit war, sich darüber Gedanken zu machen. “Noch nicht”, antwortete sie fröhlich und winkte ihm zu, während sie wieder in ihr Auto stieg.
    Sein Aussehen, aber auch sein Gesichtsausdruck, hatten einen Eindruck hinterlassen.
    Er wäre nicht der Erste, der sie für verrückt hielt, weil sie quer durchs Land fuhr, um sich um ein elfjähriges Mädchen zu kümmern, das sie nicht einmal kannte. Himmel, sogar sie selbst musste zugeben, dass es verrückt war.
    Aber verrückt bedeutete nicht, dass es falsch war.
    Merry hatte viele deprimierende Erinnerungen an die Zeit, als sie selbst elf gewesen war – und deshalb hatte das Alter des Mädchens sie stark und nachhaltig berührt. Der zweite Grund war, dass das arme Kind seinen Dad am Heiligabend verloren hatte – war das nicht schrecklich tragisch? Dazu kam, dass es keine Verwandten gab, die sich kümmern konnten. Charlene war weit aus dem üblichen Adoptionsalter heraus, und in einem überlasteten Pflegekinder-System stünde das Kind völlig allein da.
    Merrys Meinung nach war einer der riesigen Vorteile, frei und ungebunden zu leben, genau in Fällen wie diesem, reagieren zu können – sie war so flexibel, sich aufzumachen und einen neuen Lebensweg einzuschlagen, wann immer sie wollte. Nein, sie kannte das Kind nicht. Nein, sie hatte keine Ahnung, ob es irgendwelche besonderen Probleme gab, aber was spielte das für eine Rolle, wenn – wie eben jetzt – das Schicksal so hart zugeschlagen hatte? Wie sollte sie ein einsames elfjähriges Mädchen, das so viel Kummer hatte, im Stich lassen, wenn sie in der Lage war, etwas zu unternehmen.
    Und das war ihr Plan. Zuerst die Arme weit für die Kleine auszubreiten und sie lieb zu haben. Und ihr dann ein Weihnachtsfest in ihrem Zuhause zu bereiten – als Ersatz für jenes, das sie nicht gehabt hatte. Nun, und danach würde sie herausfinden, was das Kind brauchte und wollte. Alle weiteren Schritte würden sich ergeben. Für sie beide gemeinsam ergeben.
    Im Moment allerdings forderte der Verkehr ihre ganze Aufmerksamkeit. Lee Oxford – Charlies Anwalt – hatte seine Kanzlei in Arlington. Das Problem war, dass Stadtpläne und Merry nicht kompatibel waren. Und dass sie bereits müde war. Und dass sie sich im Verkehr in Arlington wie in einem Computerspiel fühlte, in dem Urmenschen ums Überleben kämpften.
    Keiner wollte fair spielen. Die Rushhour in Minneapolis war schon kein Kindergeburtstag, aber die Autofahrer hierzulande waren alle entweder in dringender Mission unterwegs oder waren wahrscheinlich Psychopathen.
    Sie musste an einer Tankstelle haltmachen – nicht um zu tanken, sondern um sich rasch frisch zu machen. Ein bisschen Make-up, Kämmen und schnell in ein paar richtige Schuhe schlüpfen war alles, wofür Zeit blieb. Danach hatte sie unglücklicherweise Schwierigkeiten, zur Adresse des Anwalts zu finden. Nicht zum ersten Mal verfluchte sie ihre ganze Verwandtschaft dafür, dass man ihr keinen Orientierungssinn vererbt hatte. Und nach all der Trödelei war es Viertel vor fünf, als sie es geschafft hatte, einzuparken und die Treppen zu Lee Oxfords Kanzlei hinaufzuhetzen.
    Die Sekretärin musterte sie und seufzte.
Arrogante Kuh.
Sekretärinnen auf dieser Seite des Mississippi konnten sich vielleicht Ellen-Tracy-Businessmode leisten, aber zumindest war da, wo Merry herkam, freundliches Benehmen für die Menschen kein Fremdwort. “Es ist spät, aber ich versuche, Sie dazwischenzuschieben”, war alles, was die Sekretärin zu bieten hatte.
    “Ich habe eine Nachricht auf seinem Handy hinterlassen, dass ich früher komme, aber ich weiß nicht, ob er sie bekommen hat. Sagen Sie ihm bitte, es geht um Charlene Ross. Ich weiß, dass wir vor morgen keinen Termin vereinbart haben, aber ich hoffe, dass er trotzdem heute für mich Zeit hat.”
    “Nehmen Sie Platz.”
    Klar, natürlich, als könnte sie sich jetzt entspannen. Sie ballte die Hände in den Taschen und marschierte auf und ab. Seit Tagen hatte sie das Bild des kleinen Mädchens vor ihrem geistigen Auge – so jung, allein, ohne Mutter, und dann hatte sie auch noch ihren Daddy kurz vor Weihnachten verloren. Es war leicht, sie sich vorzustellen. Sicher, es war Jahre her, dass sie Charlie gesehen hatte, aber seine Tochter war bestimmt klein und temperamentvoll, denn so war auch er gewesen. Wahrscheinlich war sie
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