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Allawa

Allawa

Titel: Allawa
Autoren: Unknown
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ein zu melancholisches Bild; zum Teil wenigstens trugen ja auch gute Wiederholungen dazu bei, daß er der lachende Vierte zu werden schien.
    Als Routine konnte man seine Aufzucht trotzdem kaum bezeichnen, höchstens in bezug auf die Ernährung und den wöchentlichen Fastentag. Alles andere war ein Kreuzfeuer von Erinnerungen, dieses hat sich damals bewährt, jenes nicht. Dieselbe Methode, um in wenigen Tagen Stubenreinheit zu erreichen, derselbe Holzrost unter dem Bett, die unwiderstehliche Lockwirkung der hingehaltenen Handflächen, das Flüstern, das. Erteilen der Eß -Erlaubnis, der Befehl, sich zur Fellreinigung im Schnee oder Gras zu rollen, Pillen einzunehmen, sich reglos »ins Spital« zu legen, flach auf die Seite. Dieselbe Aufrichtigkeit, um vertrauenswürdig zu bleiben: lieber alle Mühe mit dem Appell als irgendeine Lügenfalle, die bald Gleichgültigkeit eintragen würde. Aber nie bis zur Erschöpfung toben lassen, keine Sprünge, bevor die Knochen fest sind, keine enthusiastischen Begrüßungen.
    Und zwischen den grünen oder roten Erfahrungssignalen Rajkos eigene Charakterfarbe. Obwohl sie von vornherein nicht soviel Eigenart haben konnte wie bei Menschen, galt doch auch ihm gegenüber das Gesetz, daß Erfahrungen versinken sollten, um sich in Verständnis für den Augenblick zu verwandeln. Ich wollte nicht aus lauter Erfahrung voreingenommen werden, blinder, als man in der Kindheit war. Das objektivere Sehen, das Erfassen des Einzelfalles, konnte auf dem Hundegebiet wie überall durch Schon-Gehabtes sowohl entwickelt als verbaut werden.
    Rajko ahnte nichts von solchen Gefahren. Seinem Gefühl nach war er der Erste und Letzte, mein Hund wie ich sein Mensch, darumherum die Nächsten. Er deutete unmißverständlich an, worin er einen Sinn sah und worin nicht; ersteres tat er gern, letzteres redete er mir aus, indem er auf seine Mastiff-Abstammung hinwies. Mastiffs sind langsame, bis hundert Kilo schwere Doggen, selbstbewußte Prüfer, nicht Exerzierer ; schon sehr früh zeigte sich seine Veranlagung zur Würde. Es wäre kaum möglich gewesen, ihn mit vorgefaßten Ansichten zu erdrücken.
    Meine Weltkenntnisse schien er als Hintergrund zu schätzen. Daß ich ihn nüchtern beobachtete, mit keiner menschenähnlichen Einsicht rechnete, sondern seine Reaktionsmechanismen benützte, machte ihn zur Anerkennung geneigter. Nachdem ich mich genügend bewährt hatte, begann er diese oberste Instanz mit einem Blick zu Rate zu ziehen, sich im Notfall unterzuordnen, aus Vertrauen, nicht wahr, und aus Freundlichkeit — beileibe nicht, weil man dazu gezwungen wäre. Er setzte mehr und mehr voraus, daß ich am besten wüßte, wie eine Zecke zu behandeln ist, was man essen muß, wann man schlafen, wann etwas besorgen soll, mit welchen Hunden man spielen kann. Im Lauf des ersten Jahres wurde er ein schöner, kerngesunder, gutwilliger Hund ohne jede Unart; oft glaubte ich jetzt Allawa zu fühlen, der mir verriet, was dieser Knabe meinte oder brauchte. Eine Erinnerung ohne Bild, ein Wink von ferne.
    Und dieser Knabe empfand das Durchschautwerden als angenehm: im Guten eine Freude, im Schlechten eine Stütze, was könnte man dagegen haben. Man lacht ertappt und fühlt sich auf das bessere Selbst angesprochen. Durchschauen ist Liebe, sonst wäre es keines — er rückte schon zu allawistischen Weisheiten vor.

    Man kann nicht wissen, wie er weiter wird. Ob er gesund, ob er mit Fremden und Hunden friedfertig bleibt. Jeder wird anders, zum Teil auch deshalb, weil jeder etwas von seinem Menschen widerspiegelt, und man selbst ist in jedem Hundeleben anders — aber man selbst sieht sich nicht. Oder weil jeder Hund teilweise von den Lebensverhältnissen geformt wird — aber man sieht die Gegenwart nicht, nur rückblickend erkennt man, wie sie sich auf Hunde oder Kinder ausgewirkt hat.
    Seine Intelligenz ist nicht außergewöhnlich, vor allem wohl durch Bequemlichkeit verdeckt. Immerhin treibt auch er schon als Leithund die abirrenden Pensionäre zu mir zurück. Mit seinem Wissen, was wir Vorhaben, übertrifft er sogar Allawa in demselben Alter. Seine Wärme nimmt zu. Man wird ja sehen. Von mir aus braucht er nicht der eine Richtige zu sein, das ist vorbei; viele anständige Gefährten sind richtig, falls man sich selber halbwegs anständig benimmt.
    Vorläufig bauen wir noch auf, legen an, erweitern seinen Horizont, später wird er zurückgeben, was ihm entspricht. Friedliches Bilden von Gewohnheiten, im geheimen wachsame Eile:
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