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Allawa

Allawa

Titel: Allawa
Autoren: Unknown
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Langsamkeit unserer Entwicklung zu erklären. Selbst Primus war mit seinen Qualitäten vollendet gewesen, ich hatte damals gedacht: so, nur freier wählend, müßte ein Mensch sein — womit ich wohl vor allem mich selbst meinte. »Nur«, als ob das noch eine kleine Zutat wäre; gerade im freien Wählen lag ja die Unmöglichkeit, sich in einem langen Leben zu vollenden wie ein Hund in wenigen Jahren. Allawa wirkte frei durch seine sanguinisch-phlegmatische Seele, frei von Ängsten, frei von leidenschaftlichen Regungen, heiter, stetig, aber er hatte nichts zu formen, zu wählen. Sein Rahmen war gegeben, der unsrige nicht.

    Mit seiner Hilfe hatte ich leichtes Spiel. Einige Hunde fürchteten sich bei Gewitter, fragten ihn besorgt, ob der Weltuntergang bevorstehe. Sicher nicht, sagte sein gleichmütiger Blick. Dann legten sie sich nahe zu ihm, zwar zitternd, aber doch geborgen. Ein alter Dackel quetschte sich sogar in das geheiligte Leithundbett; Allawa rückte etwas zur Seite, du meine Güte.
    Andere wollten zu klagen beginnen, wenn ich sie mit ihm bei meiner Mutter ließ, die mir das dann schilderte. Allawa saß im Gang, und der kleinere Gast fragte zu dem Turm hinauf, ob nicht Grund zur Verzweiflung bestehe, Herrin fort, verloren, verloren. Allawa schien herunterblickend zu antworten: Ach was, die kommt ja wieder, sonst wäre sie gar nicht fortgegangen. Diese Logik überzeugte auch das verstörteste Herz, nun wurde eben ruhig gewartet.
    Ich wußte allerdings, daß sein Leithund-Einfluß nur wirkte, wenn er mich oder einen von uns Nächsten im Hintergrund hatte. Wie mir die Nachbarn meldeten, kläfften zwei haltlose Schützlinge, als Allawa sie eine Stunde lang allein beaufsichtigte; ohne Menschen konnte auch er — im Unterschied zu einem vernünftigen Kind — die andern nicht zu dem bringen, was nach menschlichen Begriffen richtig war. Zu fremde Verhältnisse für Hundefähigkeiten.
    Aber mit mir dabei, für mich, tat er jeden Dienst. Als Pfosten, wenn ich »Bleib« sagte, ihm die Leine eines andern ins Maul gab und die Straße kreuzte, um einen Brief einzuwerfen. Als Dolmetscher am liebsten. Eine noch ungezähmte kleine Hündin rannte auf dem ersten Spaziergang weg und tanzte wie einst Fingal in sicherer Entfernung herum, bereit zu fliehen, wenn ich käme; also: »Allawa, hol sie !« Ich sah ihn bei ihr lächeln, dann kam sie mit ihm zurück und schritt nun bekehrt hinter mir, weißgekleidet, fromme Lieder singend.
    Ein Welpe störte mich bei der Arbeit, weil er immer wieder aus seinem Korb kam. »Ach Allawa, sag du’s ihm .« Er hatte meine Versuche beobachtet, stand auf und ging hin. Ein Blick genügte, des Inhalts: ich sage nichts, ich meine nur. Im Handumdrehen herrschte Ruhe.
    Man konnte einiges lernen an der Art, wie er all die Kleinen zum Spielen ermutigte, solange sie ängstlich waren. Das Wegsehen oder der schalkhafte Blick aus dem Augenwinkel bedeutete: Keine Angst, ich habe nichts Böses vor, wie das bei vollem Blick sein könnte. Er bedrängte sie nicht, sondern wedelte (wackelte) abgewandt, forderte sie mit ein paar Sprüngen zur Verfolgung auf, bis sie zaghaft nachliefen; dann mimte er Flucht, absichtlich langsam, und sobald sie ihn tollkühn ansprangen, fiel er um. Sie durften wie Großwildjäger auf ihm stehen und triumphierend in die Kamera blicken oder an Backenhaut und Ohren ziehen. Und wenn er sich dann mit der Behutsamkeit eines Zirkusartisten erhob, trug er den kleinen Sieger als Pelzboa um den Hals oder als bizarre Pariser Creation auf dem Kopf. Er wußte, daß man sich einfältig stellen muß, um sympathisch gefunden zu werden.
    Eine zwanzigjährige Airedaleterrine wurde mir um zehn Uhr abends gemeldet. Das in der Stadt gelegene Tierheim konnte sie nicht behalten, sonderbar, weil sie heulte, und die mir unbekannte Herrin konnte sie nicht zurücknehmen, weil sie frühmorgens in die Ferien fahren sollte, also wohin mit ihr. Ich versprach, sie sofort im Heim abzuholen, versicherte auch, daß bisher noch kein Gast bei uns geheult habe, sicher kein Hundegast. Natürlich mußte Allawa mit. Die verweinte Hündin ließ sich gerne aus der Haft befreien, bockte aber vor meinem Wagen, als sollte sie spät im Leben noch entführt werden. Jetzt Allawa heraus. Er sagte ein paar Stichworte zu ihr und sprang auf mein Geheiß wieder ins Auto, sie ihm gedankenlos nach. Zu Hause bekam sie seinen Bettplatz, den besten, dort, wo sie mich sehen konnte. Ich begann mein bewährtes Gähnspiel: noch jeder
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