Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Allawa

Allawa

Titel: Allawa
Autoren: Unknown
Vom Netzwerk:
entwurzelte Hund hatte sich von Gähnen und betont entspanntem Seufzen anstecken lassen, so auch sie. Zu ihrem Ärger schlief sie durch. Am Morgen wollte sie die Verzweiflung nachholen; ich bemitleidete sie nicht, sonst hätte sie gedacht, ihre Herrin sei gestorben. Statt dessen sagte ich nur: »Ach was, nach allem, was ich schon für euch alle getan habe !« Da fiel sie in ihr Kollektivgedächtnis, mit der Tragik war es wieder nichts. Am Mittag Hungerstreikgedanken. Aber Allawa amtete als Vor-Esser, Kalbsvoresser, und schmatzte so laut, daß ihr das Maul tropfte. Es war ihr selber peinlich, sie verschlang Unmengen für eine Lebensmüde.
    Zum Dank rollte sie sich dann im Mist. Und tags darauf, noch blondgebadet, rannte sie bei einem Donnerkrachen zur erstbesten Trambahn und schwang sich hinein. Die Telefongespräche mit der Endstation und Oberdirektion waren schwierig; wie sollen Beamte begreifen, daß man nicht weiß, wohin ein Hund fahren wollte, wo er ausgestiegen ist und warum man kein Billett für ihn gelöst hat. Also Polizei. Eine Stunde später konnte ich sie in einer Milchhandlung hinter Käsevorräten herausziehen, eigentlich war sie schon wieder badereif . Allawa wand sich vor Lachen, als er an ihr roch, und sie entschloß sich beschämt zum Glücklichsein, was doch immer noch das Würdevollste ist. Und so fort.

    Allawa als Krankenpfleger — ja, wäre er nur immer undeklinierbar geblieben, anstatt dann der kranke Pfleger zu werden. Er hatte einen deutlichen Sinn für Hilfsbedürftigkeit, wie fast alle Hündinnen und manche große Rüden. Einmal beugte er sich über irgend etwas , sah zu mir, ich ging hin: ein Vögelchen. Besorgte Augen; könnte man ihm Hundekuchen geben, oder noch zu klein?
    Dieser Ausdruck teilte mir immer verläßlich mit, daß ich eingreifen sollte. Allawas Spielgenossen kamen oft flach heraus, wie man heute sagt, er verarbeitete sie zur Bettvorlage; hielt er dann vorgebeugt im Beschnüffeln inne, Blick zu mir, so war etwas nicht in Ordnung. Es konnte eine Zecke sein, die mußte ausgeschraubt werden, englische Zecken rechts herum, kontinentale links herum, solange es keine internationalen Gewinde gibt. Zecken haben anscheinend einen starken Geruch, fast alle Hunde schütteln bei näherer Konfrontation gegraust den Kopf.
    Oder eine kleine Verletzung vom Rennen im Wald. Oder ein Ekzem, wie es einige Retriever mitbrachten. Alles mußte behandelt werden, und Allawa wußte das. Ich glaubte zu verstehen, daß sich seine Augen auf mich richteten, weil er Krankes mit Behandlung verband, die ja immer durch mich erfolgte; auf meiner Seite wurde es Mitteilung, von ihm aus war es ein Gefühl. Dasselbe ging in Primus vor, wenn er ärztliche Hilfe bei mir suchte, dasselbe erklärte alle Blicke zur Wasserschüssel, zur Tür. Reflexe, die durch unsere Beobachtung Mitteilung werden.
    Meis Vater, der öfters von seiner angetrauten Gattin getrennt wurde, stand in solchen Zeiten immer mit dem Kopf zu seinem Wohnort gerichtet da, wenn ich mich im Wald setzte. Man hätte ihn als Kompaß benützen können. Ich las daran ab, daß ich ihn nicht von der Leine lassen durfte. Zugleich verriet mir sein Gesicht, daß er nicht dachte, sondern daß es ihn zog.
    Allawa hatte einmal das Kinn so auf meinen Fuß gelegt, daß ich durch unsichtbares Zehenheben ein Nicken, durch leichte Drehung eine verneinende Bewegung vortäuschen konnte. Auf Fragen, die gerade an mich gestellt wurden, antwortete er nun scheinbar für mich. Es waren einfache Fragen — geht ihr noch aus, hat er schon gegessen — und das einfachste Ja und Nein. Trotzdem wirkte es derart unmöglich, unvorstellbar, daß uns der Anblick gespenstisch berührte, obwohl wir dazu lachten. Wir verehrten Allawa — aber daß er Antworten gab, nein, ausgeschlossen.
    Ich hielt es für wichtig, zu unterscheiden: selbst stumme menschliche Mitteilungen sind noch Sprache, werden gedacht, während ein Hund sich so äußert, wie es ihn zieht. Gewiß, je indirekter, verfeinerter, pawlowscher die Reflexe sind, um so höher entwickelt ist ein Hund; daß Allawa Krankheitsgeruch und Hoffnung auf Hilfe assoziierte, sogar für andere, war wunderbar genug.
    Eine dieser Mitteilungen beeindruckte mich mehr als alle vorhergegangenen. Eine krebskranke Jagdhündin war zur Pflege zu uns gekommen, und Allawa umgab sie mit sanfter Teilnahme, stieß sie nie, küßte sie flüchtig, leckte ihre Pfoten, ohne sie zu stören. Nachts schlief sie bei offener Tür in meinem Schreibzimmer, Allawa
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher