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Allawa

Allawa

Titel: Allawa
Autoren: Unknown
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Bänderriß stöhnend auf dem Boden saß, umkreiste er mich sanft wie eine Hündin ihr Junges, stubste nur mit weicher Schnauze. Er sah wohl so etwas wie die Farben der Vorgänge.
    Gelegentlich brachte ich ihn zu meiner Mutter. »Er möchte fragen, ob er sich bei dir abgeben darf .« Sie liebte ihn sehr, nannte ihn ihren Schutzenkel. Ungefähr eine Viertelstunde vor meiner Rückkehr, während bei mir die Vorfreude stieg, pflegte er sich dort im Gang an die Tür zu setzen. Einmal konnte ich unerwartet früh die Heimfahrt zu ihm antreten, also nahm er entsprechend früher seinen Warteposten ein. Meine Mutter sagte: »Nein, sie kommt noch nicht, erst um drei .« Allawa blieb sitzen. »Erst um drei !« wiederholte sie und hielt drei Finger in die Höhe. Sein Blick antwortete höflich fest, daß sie sich irre. Bald darauf erschien ich. »Er hat es gewußt, er hat also doch recht gehabt, das ist ja fast unheimlich !« sagte meine Mutter. Ich erging mich in Begeisterung darüber, daß damit das Hundefernsehen »unter Beweis gestellt« sei, unanfechtbar, da nichts in seiner Nähe Gefühltes mitgespielt habe. So viele Worte; Allawa hörte uns Blinden nachsichtig zu.

    Wir waren füreinander aus Glas, kein Wunder, wir sahen uns ja auch unablässig an. Mir ging es allmählich wie den Ehepartnern, die kaum mehr imstande sind, ohne den andern ein ordentliches Gespräch zu führen. Bevor ich etwas antwortete, sah ich ihn an. Lächerlich, aber nur durch Verstellung zu ändern. Eine einsame alte Frau wollte mir eine Weile täglich vorlesen, gut, mit ihm dabei hatte ich alle Geduld; mußte ich aber einmal allein hingehen, so war es plötzlich ein Opfer und die Zeit kroch.
    Er wiederum machte mir ein paar Tage lang Blicke werfend und leise seufzend begreiflich, daß in dem Haus dort drüben eine heiratswillige Bernhardinerin sei, ob ich nicht mit Blumen für ihn vorsprechen wolle? »Nein«, sagte ich, »wir können unmöglich sieben Kleine ernähren .« Und grausam verhaltensforscherisch interessiert ließ ich ihn mehrmals vor unserem Gartentor allein, angeblich, um noch auf die Post zu gehen, etwas im Haus zu holen. Würde er weglaufen? Als ich wiederkam, stand er noch geduldig da, zum nahen Brauthaus gerichtet, aber treu wie immer. Entweder zusammen, fand er, oder einer von beiden verzichtet eben.
    Und so wie sich zwei Zweibeiner gegenseitig behüten, wenn es stimmt, genauso waren auch wir, innerlich gesehen, zu viert: zwei Schützende, zwei Schützlinge, zwischen ihnen schöne Kreuzstiche von Stärke zu Schwäche. Mich mit meinen Welpenzähnen, den stumpfen Sinnen und sonstigen Unfertigkeiten des Menschen fand er hilfsbedürftig; ihn, den Unschuldspinsel in fremder Welt, mußte mein Überblick leiten. Er bestaunte meine Stadtnase, die wunderbarerweise immer wußte, wann in welchem Restaurant ein Familienmitglied sitzen würde; im Freien dagegen, im Dunkeln, bei allem Natürlichen hatte seine Waldnase zu dienen. Der Rollenwechsel ergab sich in allen Fällen von selbst. Wer etwas riet, der war berufen.

    Ich hatte mir nicht mit solcher Sehnsucht wie in meiner Kindheit einen Hund gewünscht, erst der Anblick von Allawas Mutter und die Pflege von Mel war mir nahegegangen. Aber dann hatte sich der kleine Allawa auf den ersten Blick an die Erfüllung meiner Kinderträume gemacht, als ich im Verzicht schon häuslich eingerichtet lebte. Es wunderte mich jeden Tag, daß dieser erdichtete Hund nun Wirklichkeit war.
    Kindertraumliebe, ich erinnerte mich noch. Keine Umwandlungsgesetze darin, kein Beenden und Neufinden, Freilassenmüssen und Freiheitbrauchen, kein atemberaubendes Treppenhaus, wo mit Sicherheit das Licht ausgeht, bevor man im nächsten Stock angelangt ist. Nicht die wechselvolle Verbindung von Ich zu Ich; paradiesischer Stillstand. Mit einem Hund möglich und erlaubt. Aber ein Preis doch: die Sorge, wie lange etwas Vollkommenes zugeteilt bleibt.

    Allawas bester Freund wurde Mel, den wir oft zu Spaziergängen holten, oft wochenlang zu Gast hatten. Man ließ ihn höhere Dressurkurse absolvieren, wofür sich seine empfindsame Seele, seine Nerven im Grund nicht eigneten: danach erwartete er ständig auf Draht ein Kommando, gestochenen Blickes, anstatt das Leben zu genießen. Und wenn ich beim Straßenkreuzen »lauf« sagte, sprang er bellend in die Höhe, weil er, intellektuell geworden, »gib Laut« zu hören meinte.
    Den bäurisch harmonischen Allawa, der jedes Wort aus dem ganzen Zusammenhang erriet (warum sollte man auf der
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