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Alison Wonderland

Alison Wonderland

Titel: Alison Wonderland
Autoren: Helen Smith
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niemals den Namen wusste, den seineMutter für es gewählt hatte und ihn deshalb auch niemandem sagen kann. In letzter Zeit ist meine Mutter depressiv und krank. Sie ist dabei, den Kampf gegen die Kräfte des Bösen zu verlieren. Sie sagt, dass das Böse sich organsiert hat und Machthändler moderne Mittel benutzen, um Männern mit bösen Kräften zuzuarbeiten. Sie hat einen Computer gekauft.« Mit dem Bild von Tarons Mutter im Kopf, wie sie Stunden im Internet verbringt, im melancholischen Austausch mit anderen Hexen, beuge ich mich vor und ziehe mir das Koks in die Nase.
    »Wenn ich ein ausgesetztes Baby fände, könnte ich ihr helfen. Es könnte ihr Gehilfe werden.«
    Taron macht eine Pause, weil ich sie seltsam ansehe, und ohne es zu wollen, meine Augenbrauen bis zum Haaransatz hochziehe.
    »Ich fühle mich schuldig. Ich war ihr niemals eine Hilfe, weil ich keine Macht habe.«
    Sie weiß nicht, dass ich weniger auf ihre Geschichte reagiere als auf die Tatsache, dass auf dem Plattencover »Crazy Horses« steht und ich frage mich, ob sie es gemerkt hat.
    »Offensichtlich sind Babys, die in einer intakten Fruchtblase auf die Welt kommen, vor dem Ertrinken geschützt. Seeleute berühren sie, weil es Glück bringt. Eigentlich wäre ich auch auf solche Art auf die Welt gekommen, denn bei meiner Mutter setzten die Wehen ein, ohne dass die Fruchtblase geplatzt war. Doch viele Hebammen sind Hexen und die, die bei meiner Mutter war, muss eine böse gewesen sein. Sie nahm einen Stab aus Glas und durchstach die Fruchtblase, so dass sie platzte und so wurde ich meiner Kräfte beraubt. Sie erzählte mir diese Geschichte so oft, dass ich Angst vor Wasser bekam. Sie schrieb mir immer Entschuldigungen, die mich vom Schulschwimmen befreiten, weil ich Angst hatte zu ertrinken.«
    Ich schniefe und schmecke etwas Bitteres hinten auf meiner Zunge. Ich sehe Tarons Mutter auf einem schmalen Krankenhausbett. Sie sieht aus wie Belinda Carlisle und macht kleine unnütze Bewegungen mit ihren Händen, als ob sie sich ihre Haarehinter die Ohren streichen will, gegen die Schmerzen ankämpfend, als sich ihr Bauch zusammenzieht, um ein Kind herauszupressen, das sie später warnen wird, niemals seinen Geburtsnamen zu enthüllen. Ich sehe eine Hebamme mit kräftigen Armen im Halbdunklen ans Bett treten, in der Hand den Glasstab wie einen Zauberstab. Ich höre sie schreien vor Entsetzen und Bedauern, als das warme, blutige Wasser an ihren Beinen hinunterläuft und sich ihr Bauch so stark zusammenzieht, dass sie sieht, wie sich etwas selbständig bewegt unter der schwachen Decke von Bauchmuskeln.
    Ich schniefe wieder. Mein Kopf ist sehr klar. Ich fühle mich wie ein Weinglas, mein Hals ist der Stiel und mein Kopf so klar und rund, dass er »pling« machen müsste, wenn man ihn anstößt.
    »Wie ist dein richtiger Name?«, frage ich Taron.
    Ich lebe in einem Haus, das auf dem Kopf steht. Eine Errungenschaft, die mein ganzer Stolz ist, etwas, das ich schon als Kind haben wollte. Kann etwas eine Errungenschaft sein, wenn es ein anderer gebaut hat und man es nur von ihm kauft? Im Erdgeschoss befindet sich das Schlafzimmer mit einem angeschlossenen kleinen Garten. Man muss sich entscheiden, ob man entweder wenige Gäste oder wenige Geheimnisse haben will, denn in den Garten kommt man nur durch das Schlafzimmer. Das Wohnzimmer und die Küche sind oben. Ich habe mich auf minimalistischen Chic verlegt und alles weiß gestrichen, aber an dem Tag, als Taron mich besucht, fühlt sich der Raum leer und seelenlos an. »Cool«, sagt sie, als sie reinkommt und ich fühle mich schlechter und nicht besser. Der wackelige Turm aus weißen Kissen im Schlafzimmer sieht aus, als gehöre er einem Teenager. Ich hoffe, sie kapiert, dass mein Tränendes-Herz-Bild von einem olivengrünäugigen Jesus mit seinem sanftmütigen, ovalen Gesicht und wallendem Haar mit Mittelscheitel an der Schlafzimmerwand funky aussehen soll und nicht fromm. Ich dachte immer, dass das Treibholz, das ich aus dem Meer gerettet habe, von seiner letzten Ruhestätte aus spitze Schatten gegen die kahle weiße Wand werfend, aussähe als würdees sich verdrehen vor lauter Anstrengung, wieder in den Ozean zurückzukommen, aus dem ich es geholt habe. Jetzt wirkt es einfach nur ... achtzigermäßig. »Cool«, sagt sie und ihre kleine Hand bleibt einen Moment auf dem glatten Holz liegen, das jetzt aussieht, als hätte es das Meer vergessen und sich stattdessen nach ihr ausstreckt, während sie weitergeht
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