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Alison Wonderland

Alison Wonderland

Titel: Alison Wonderland
Autoren: Helen Smith
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auch nicht in meine Arme, ich berühre nur ganz zart die feinen Härchen auf seinen Fingerknöcheln und frage mich, ob er auf seinem restlichen Körper auch Haare hat oder ob seine Haut ganz glatt ist. Ich mag keine Männer mit Haaren auf dem Körper. Ich bringe ihm eine Tasse Tee nach unten und versuche ihn damit irgendwie hochzulocken ans Licht und in die Luft in meiner Wohnung. Oder ich stelle die Tasse auf dem Tisch ab und beglucke ihn ein bisschen, um ihm zu zeigen, dass ich nicht denke, er sei seltsam, weil er mir Gedichte schreibt.
    »So, Jeff«, sage ich, ohne die Gedichte zu erwähnen. »Woran arbeitest du zurzeit?« Sein blässliches Gesicht leuchtet auf und er fängt lebhaft an zu reden.
    »Weißt du, wie es ist, wenn man eine Werbung im Fernsehen sieht oder ein Plakat und du bist dir nicht sicher, ob die Werbung für Range Rover oder den Marlboro-Mann, für Kaugummi oder Sprite Light ist? Und du weißt, wie kryptisch Zigarettenhersteller sein müssen, so dass sie nicht mal mehr das Produkt erwähnen, du erkennst nur noch an den Farben, die sie benutzen, was sie eigentlich verkaufen?«
    »Ja.«
    »Also, ich habe darüber nachgedacht und glaube, es wäre möglich, die Essenz jeder einzelnen Werbung herauszudestillieren und damit eine Werbung zu machen, die praktisch jedes einzelne Produkt repräsentieren könnte. Das wäre so stark, dass jeder, der diese Werbung sieht, ein anderes Produkt kaufen könnte.«
    »Eine einzige Werbung für jedes Produkt auf der Welt?«
    »Ja.«
    Wir denken eine Weile über diese Idee nach. Ich strecke meine Hand aus und berühre die Haare auf einem seiner Fingerknöchel, ganz zart.
    »Hätten die Leute aus der Werbeindustrie nicht etwas dagegen?«, frage ich, obwohl ich weiß, dass das eine irrelevante Frage ist. Jeff erfindet Dinge, um ein Problem zu lösen, das Leben einfacher zu machen oder unnötige Arbeit aus der Welt zu schaffen. Er träumt von einer Welt, in der niemand von uns arbeiten muss und realisiert dabei nicht, dass wir nur deshalb arbeiten, weil wir irgendwie an Geld kommen müssen. Ich schaue aus dem Fenster nach dem frühmorgendlichen Sonnenschein und teile seine utopischen Träume für eine Weile. Ich frage mich, ob er jemals fähig sein wird, etwas zu erfinden, das meinen Job überflüssig machen würde.
    »Die Werbeleute könnten doch Arbeit in einem ähnlichen Bereich finden«, sagt er. »Sie könnten zum Film gehen.«
    »Wie würde deine Werbung aussehen?«
    »Ich arbeite noch an der Formel, aber ich denke, man kann die nötigen Elemente berechnen, so wie man es bei einem Lied macht. Es muss dich verfolgen. Wenn du es siehst, musst du das Gefühl haben, dass etwas fehlt in deinem Leben.«
    »Als ich klein war, verbrachte ich Ewigkeiten damit, das reflektierende Sonnenlicht auf dem Küchenboden zu jagen. Es machte keinen Unterschied, ob ich schnell rannte oder mich heranschlich oder versuchte draufzuspringen, es war immer schneller als ich.«
    »Schwer zu fassen.«
    »Ja. Man muss das Produkt so sehr wollen, wie ich das Sonnenlicht fangen wollte. Du brauchst Hintergrundmusik, die dich bewegt. Irgendwas Altes. Du brauchst eine dieser Hymnen, die sie in der Levi’s-Werbung haben.«
    Ich laufe mich langsam warm und werde richtig aufgeregt. Wenn Jeff Erfolg hat, wird also bald jeder in der Werbeindustrie einen sehr langen Urlaub nehmen müssen. Aber wen kümmert’s? »Wenn dieser wunderschöne Mann durch all diese Swimmingpools taucht zu dem Song ›Mad About the Boy‹, dann bin ich so besessen davon, dass ich gar nicht mehr weiß, ob ich den Pool kaufen soll oder die Musik oder die Jeans oder die Werbeagentur.«
    »Ich werde etwas aus den Siebzigern oder Achtzigern nehmen. Ich denke da an Annie Lennox, weil ihre Stimme klar ist und ihre Lieder mich traurig machen. Ich mag das mit dem Engel.«
    Manchmal glaube ich, Jeff und ich geben zu viel preis über uns während dieser Unterhaltungen. Jetzt weiß er also Bescheid über das Sonnenlicht auf dem Küchenboden und darüber, dass mich halbnackte männliche Models in Pools anmachen und ich weiß, dass er sentimental ist und traurig wird, wenn er Annie Lennox hört. Ich frage mich, ob er schwul ist und dann fällt mir wieder ein, dass er ja in mich verliebt ist. Seine Gefühle sind sehr empfindlich. Ich bin froh, dass ich die erste Person war, die er gesehen hat, nachdem er aufwachte und verzaubert war.
    »Was hast du heute so vor, Ali?« Er nennt mich normalerweise Ali. Ich nehme an, man könnte es Allie
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