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Alibi für einen König

Alibi für einen König

Titel: Alibi für einen König
Autoren: Josephine Tey
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Güte! Der einzige Sinn, den die Ermordung der Knaben für Richard gehabt hätte, wäre der gewesen, einen Aufstand zu ihren Gunsten zu verhindern. Und dazu hätte man ihren Tod ausposaunen müssen, und zwar so rasch wie möglich. Der Mord hätte nur einen Sinn gehabt, wenn das Volk sofort erfahren hätte, daß die Knaben tot waren. Für Heinrich lagen die Dinge ganz anders. Heinrich mußte einen Weg finden, um sie in der Versenkung verschwinden zu lassen. Heinrich mußte ganz unauffällig vorgehen. Er mußte verschleiern, wann und wie sie gestorben waren. Für ihn kam es nur darauf an, daß keiner erfuhr, was eigentlich mit den Knaben geschehen war.«
    »Das stimmt allerdings, Brent. Das stimmt«, sagte Grant, der über den Eifer des Jungen lächeln mußte. »Sie sollten bei uns im Yard arbeiten, Mister Carradine!«
    Brent lachte.
    »Ich werde mich an die Säuberung der Geschichtsbücher halten«, sagte er. »Ich wette, da gibt’s noch eine ganze Menge Dinge, die wir nicht wissen. Ich wette, die Geschichtsbücher wimmeln nur so von Fehlern.«
    »Da nehmen Sie mal gleich wieder Sir Cuthbert Oliphant mit.« Grant holte den dicken, ehrfurchtgebietenden Wälzer aus der Schublade. »Man sollte die Historiker zwingen, einen Kurs in Psychologie zu absolvieren, ehe sie mit dem Schreiben beginnen.«
    »Pah! Das würde ihnen gar nichts helfen. Ein Mensch, der sich mit dem Innenleben anderer beschäftigt, schreibt keine Geschichtsbücher. Der schreibt Romane oder wird Psychiater oder Richter –«
    »Oder Hochstapler.«
    »Oder Hochstapler. Oder Wahrsager. Ein Mensch, der andere versteht, hat kein Bedürfnis, Geschichte zu schreiben. Geschichte ist wie Zinnsoldatenspiel.«
    »Na, machen Sie einen Punkt! Sind Sie nicht ein bißchen zu streng? Das ist doch ein sehr gelehrtes –«
    »Ach, so hab’ ich es nicht gemeint. Ich meine, sie schieben kleine Figürchen auf einer glatten Fläche hin und her. Wenn man es sich genau überlegt, ist es beinahe wie Mathematik.«
    »Wenn es Mathematik ist, dann haben die Historiker kein Recht, Hintertreppenklatsch abzuschreiben«, sagte Grant. Er war plötzlich ganz böse. Der Gedanke an den geheiligten More brachte ihn noch immer in Harnisch. Abschiednehmend blätterte er in dem dicken, respekteinflößenden Sir Cuthbert. Als er zu den letzten Seiten kam, blätterte er immer langsamer und hielt plötzlich inne.
    »Komisch«, sagte er. »Wie bereitwillig sie doch einem Mann Mut auf dem Schlachtfeld zugestehen. Sie gehen alle den gleichen ausgetretenen Weg, und keiner überlegt sich, ob es wirklich der richtige ist. Ja, nicht einer von ihnen versäumt zu bemerken, daß er ihn eingeschlagen hat.«
    »Diesen Tribut hat ihm der Feind gezollt«, erinnerte Carradine. »Die Überlieferung von Richards Heldenmut datiert von einer Ballade, die vom Gegner verfaßt wurde.«
    »Ja. Von einem Gefolgsmann der Stanleys. ›Dann sprach ein Ritter zu König Richard.‹ Hier steht es irgendwo.« Grant blätterte, bis er die Stelle fand, nach der er suchte. »Es scheint der ›brave Sir William Harrington‹ gewesen zu sein, der Ritter nämlich. Hören Sie zu:

Kein Mensch kann ihren Schlägen wehren,
    Verderblich ist der Stanleys Hieb.
    (Diese verräterischen Bastarde!)
    Ihr müßt wann anders wiederkehren.
    Mich dünkt, Euch lacht heut’ nicht der Sieg.
    Nehmt Euer Roß, es steht bereit!
    Ein andermal mögt Ihr die Schlacht gewinnen
    Und Kron’ und Thron und Herrlichkeit.
    Und Ihr mögt Engelland erringen.
    ›Nein! Gebt die Axt mir in die Hand!
    Setzt mir die Krone auf – vor allen!
    Für den, der einst schuf Meer und Land,
    Will ich als Englands König fallen.
    Nie soll mein Fuß zur Flucht sich wenden,
    Solang’ ein Herz mir in der Brust!‹
    Und so geschah’s. So tat er enden.
    Ein König, stolz und selbstbewußt.«

    »Setzt mir die Krone auf!« sagte Carradine nachdenklich. »Das war die Krone, die man dann in einem Schlehdornbusch fand.«
    »Ja. Wahrscheinlich hatte sie ein Leichenfledderer beiseite geschafft.«
    »Ich habe sie mir immer als eine von diesen hohen Plüschdingern vorgestellt, mit denen auch Königin Elisabeth gekrönt wurde. Aber es scheint nur ein goldener Reif gewesen zu sein.«
    »Ja. Man konnte ihn über dem Helm tragen.«
    »Puh!« sagte Carradine mit plötzlichem Grausen. »An Heinrichs Stelle hätte ich mir diese Krone aber nicht gern aufgesetzt. Das wäre mir schrecklich gewesen!« Nach einer kleinen Pause fuhr er fort: »Wissen Sie, was die Stadt York über die Schlacht von
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