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Alibi für einen König

Alibi für einen König

Titel: Alibi für einen König
Autoren: Josephine Tey
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Wochen schon wieder mit einer richtigen Untersuchung so beschäftigt sein, daß Sie sich nicht mehr mit einer – einer akademischen befassen können«, sagte Carradine ein wenig traurig.
    »Ich werde nie wieder eine Untersuchung so genießen, wie ich diese genossen habe«, sagte Grant wahrheitsgemäß. Er warf einen Blick auf das Porträt, das noch immer an den Büchern lehnte. »Als Sie so betrübt hereinkamen und ich glauben mußte, alles sei zusammengebrochen, da war ich viel niedergeschmetterter, als Sie sich vorstellen können.« Er betrachtete wieder das Porträt und sagte: »Marta findet, er sei ein wenig wie Lorenzo il Magnifico. Martas Freund James meint, es sei das Gesicht eines Heiligen. Mein Chirurg meint, es sei das Gesicht eines Krüppels. Sergeant Williams findet, der sehe aus wie ein bedeutender Richter. Ich glaube, die Oberin kommt der Wahrheit am nächsten.«
    »Was meint sie denn?«
    »Sie sagt, in diesem Gesicht spiegle sich grauenhaftes Leid.«
    »Ja, ja. Ich glaube, sie hat recht. Und kann das einen nach all dem, was wir wissen, noch verwundern?«
    »Nein, nein. Es ist ihm kaum etwas erspart geblieben. Die beiden letzten Jahre seines Lebens müssen für ihn schrecklich gewesen sein. Alles war so glatt gegangen. England war endlich wieder einen geraden Kurs gesteuert. Man fing an, den Bürgerkrieg zu vergessen. Eine gute, gefestigte Regierung wahrte den Frieden, und ein aufblühender Handel sicherte den Wohlstand. Und in zwei kurzen Jahren dann – seine Frau tot, sein Sohn tot, und er selbst um den Frieden gebracht.«
    »Aber etwas ist ihm erspart geblieben.«
    »Was?«
    »Das Wissen, daß sein Name jahrhundertelang ein Schimpfwort und der Inbegriff des Bösen werden sollte.«
    »Ja. Das hätte ihm den letzten Stoß versetzt. Wissen Sie, was mir der ausschlaggebende Beweis für Richards Unschuld an jener thronräuberischen Absicht zu sein scheint?«
    »Nein. Was denn?«
    »Die Tatsache, daß er jene Truppen aus dem Norden hat kommen lassen müssen, als Stillington mit seiner Geschichte herausrückte. Hätte er auch nur geahnt, was Stillington zu sagen hatte, oder hätte er mit Stillingtons Hilfe eine Lügengeschichte auftischen wollen, dann hätte er diese Truppen bereits mitgebracht. Wenn schon nicht nach London, dann in die Home Counties, wo sie greifbar gewesen wären. Die Tatsache, daß er erst York und dann seine Nevill-Vettern so dringend um Soldaten bat, ist der Beweis dafür, daß Stillingtons Geständnis ihn völlig unvorbereitet traf.«
    »Ja. Er kam mit seinem Gefolge in der Erwartung, die Regentschaft zu übernehmen. In Northampton erfuhr er dann, daß die Woodvilles Schwierigkeiten machten. Aber das hat ihn nicht weiter aufgeregt. Er hat die zweitausend Mann der Woodvilles mit der linken Hand erledigt und begab sich nach London, als sei nichts geschehen. Noch erwartete er nichts anderes als eine völlig normale Krönung. Erst als Stillington vor dem Rat gestand, ließ er eigene Soldaten kommen. Und er mußte in diesem kritischen Augenblick seine Bitte bis in den Norden Englands schicken. Ja, natürlich haben Sie recht. Er war ahnungslos.« Brent schob nachdenklich sein Brillengestell mit dem Zeigefinger hoch und brachte nun seine Theorie vor. »Wissen Sie, was mich von Heinrichs Schuld überzeugt hat?«
    »Was?«
    »Das Geheimnis.«
    »Geheimnis?«
    »Das Geheimnisvolle. Die Geheimnistuerei, das Versteckspielen.«
    »Weil diese Geheimniskrämerei nicht ins Bild paßt?«
    »Nein, nein. Viel einfacher. Verstehen Sie doch: Richard hatte gar kein Geheimnis nötig. Aber für Heinrich hing alles davon ab, daß das Ende der Knaben rätselhaft war. Niemand hat diese Geheimnistuerei je begriffen, die ja auf Richards Konto hätte gehen müssen. Er konnte doch nicht so irrsinnig sein und annehmen, daß man ihm ein so rätselhaftes Verhalten ab kaufen würde. Früher oder später hätte er Rechenschaft über den Verbleib der kleinen Prinzen geben müssen. Er war etwa dreißig Jahre alt und mußte mit einer langen Regierungszeit rechnen. Kein Mensch hat sich je erklären können, weshalb er einen so umständlichen und gefährlichen Weg wählte, wo sich doch viel einfachere Methoden anboten. Er hätte die Knaben nur ersticken lassen und sie dann öffentlich aufbahren müssen, und ganz London wäre weinend an den beiden kleinen Geschöpfen vorbeidefiliert und hätte beklagt, daß sie so jung vom Fieber hinweggerafft wurden. Und das wäre auch die Methode gewesen, die er angewandt hätte. Du liebe
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