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Alibi für einen König

Alibi für einen König

Titel: Alibi für einen König
Autoren: Josephine Tey
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einen beträchtlichen Abstand zwischen ihn und mich zu legen. Insbesondere, wenn ich Heinrich einen heimlichen Dienst geleistet hätte, der in Heinrich vielleicht den Wunsch aufkommen lassen könnte, daß ich kein biblisches Alter erreichen solle.«
    »Ja, vielleicht haben Sie recht. Er ging nicht nur ins Ausland, er blieb im Ausland – wie wir bereits festgestellt haben. Interessant.«
    »Er war nicht der Einzige. Auch John Dighton blieb im Ausland. Ich konnte nicht feststellen, wer die Leute, die angeblich bei dem Mord mitgewirkt hatten, eigentlich waren. Jeder Tudor-Bericht lautet anders, wie Sie vermutlich wissen. Ja, die meisten sind völlig widersprechend. Heinrichs Lieblingshistoriker, Polydore Virgil, behauptet, die Tat sei geschehen, als Richard in York war. Dem geheiligten More zufolge wurde sie viel früher verübt, nämlich als Richard in Warwick war, und die Mittäter sind in jedem Bericht andere Leute. Es ist also schwierig, sie festzustellen. Ich weiß nicht, wer Will Slater war. Und ich kenne Miles Forest nicht. Es hat aber einen John Dighton gegeben. Grafton schreibt, daß er lange Zeit in Calais gelebt hat, ›verachtet und angegafft‹, und dort in großem Elend starb.«
    »Wenn es Dighton schlecht ging, dann scheint er Heinrich keinen Dienst geleistet zu haben. Was war er von Beruf?«
    »Nun, es ist immer noch die Frage, ob es sich um unseren John Dighton aus dem Tower handelt. Der, den ich entdeckt habe, war Priester und alles andere als arm. Er lebte sehr angenehm von den Einkünften einer Sinekure. Heinrich verlieh am 2. Mai 1487 einem gewissen John Dighton die Pfründe Fulbeck bei Grantham. Das liegt in Lincolnshire.«
    »So, so«, sagte Grant. »1487. Und auch er lebt angenehm im Ausland?«
    »Ja. Hübsch, was?«
    »Bezaubernd. Und niemand schreibt, weshalb der so begaffte Dighton nicht am Schlawittchen gepackt und nach Hause gebracht wurde, um wegen Königsmordes zu baumeln?«
    »Nein. Nichts dergleichen. Die Tudor-Historiker konnten auch nicht von B auf C schließen.«
    Grant lachte. »Wie ich sehe, lernen Sie dazu.«
    »Klar. Ich lerne nicht nur Geschichte. Ich sitze zu Füßen von Scotland Yard und lausche einem Kolleg über den menschlichen Verstand. So, das wäre für heute alles. Wenn Sie sich dazu kräftig genug fühlen, werde ich Ihnen das nächstemal die beiden ersten Kapitel meines Buches vorlesen.« Er schwieg und sagte dann: »Mr. Grant, hätten Sie etwas dagegen, wenn ich es Ihnen widmen würde?«
    »Ich glaube, Sie sollten es lieber Carradine III. widmen«, sagte Grant leichthin.
    Aber Carradine schien die Sache sehr ernst zu nehmen.
    »Ich benutze eine Widmung nicht zum Einseifen«, sagte er, ein wenig reserviert.
    »Oh, ans Einseifen dachte ich nicht«, versicherte Grant eilig. »Ich dachte, es sei vielleicht diplomatisch.«
    »Ohne Sie, Mr. Grant, hätte ich dieses Buch doch nie begonnen«, sagte Carradine, der sehr förmlich und bewegt und amerikanisch in seinem wallenden Mantel mitten im Zimmer stand. »Und ich möchte in aller Form dem danken, dem ich Dank schuldig bin.«
    »Ich wäre natürlich entzückt«, murmelte Grant. Worauf die königliche Erscheinung sich wieder entspannte und zum lockigen Lämmchen wurde, und der peinliche Moment war vorüber. Vergnügt und beschwingt, wie er gekommen war, verschwand Carradine, der seit seinem ersten Auftreten vor drei Wochen dreißig Pfund an Gewicht und dreißig Zentimeter an Brustumfang zugenommen zu haben schien.
    Und Grant starrte die gegenüberliegende Wand an und zerbrach sich den Kopf über die neuesten Erkenntnisse, mit denen er gerade vertraut gemacht worden war.

XVI
    M an hatte sie aus der Welt verbannt, die Tugendhafte Schöne mit dem Goldhaar.
    Weshalb eigentlich Gold, überlegte er zum erstenmal. Wahrscheinlich silberblond. Sie hatte ganz helle Farben gehabt. Schade, daß das Wort Blondine im Lauf der Zeit derart mißbraucht worden war, daß es heute fast schon einen Beigeschmack hatte.
    Bis ans Ende ihrer Tage hatte sie eingesperrt hinter Mauern gelebt, wo sie für alle unschädlich war. Aufregung und Unruhe hatten sie ihr Leben lang umzittert.
    Ihre Ehe mit Eduard hatte England erschüttert. Sie war der unschuldige Anlaß von Warwicks Ruin gewesen.
    Ihre Güte gegenüber ihrer Familie hatte eine neue Partei in England ins Leben gerufen und Richard die friedliche Thronfolge verwehrt. Bei jener kleinen Feier im tiefsten Northamptonshire, die sie zu Eduards Gemahlin machte, war der Same zu Bosworth gelegt worden.
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