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Alibi für einen König

Alibi für einen König

Titel: Alibi für einen König
Autoren: Josephine Tey
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teilnehmen lassen, sobald Ihr aus der Freistatt kamt!‹«
    »Ja, das ist gut möglich. Er brauchte gar nicht zu warten, bis sie Verdacht schöpfte. Er konnte alles mit einem Schachzug bewerkstelligen. ›Ihr seid eine schlechte Frau und eine schlechte Mutter. Ich schicke Euch in ein Kloster, um Eure Seele zu retten und Eure Kinder vor Eurem verderblichen Einfluß zu bewahren‹.«
    »Ja. Und dem übrigen England gegenüber war er so sicher, wie ein Mörder nur sein konnte. Nach dem glücklichen Einfall mit dem ›Hochverrat‹ hatte wohl niemand mehr Lust, Kopf und Kragen zu riskieren, indem er neugierige Fragen nach dem Wohlergehen der lieben Kleinen stellte. Vermutlich gingen damals alle auf Eiern. Keiner wußte, was Heinrich sich noch einfallen ließe, um die Seelen seiner Mitmenschen ins Fegefeuer zu schicken und ihre Besitztümer einzustreichen. Nein, es war nicht die Zeit für neugierige Fragen in Dingen, die einen nicht unmittelbar betrafen. Und überhaupt war es damals wohl recht schwierig, die Neugierde zu befriedigen.«
    »Meinen Sie das, weil die Knaben im Tower lebten?«
    »Ja, in einem Tower, der von Heinrichs Leuten verwaltet wurde. Bei Heinrich herrschte nicht die gemütliche Großzügigkeit, die Richards Regierung auszeichnete. Für Heinrich gab es kein York-Lancaster-Bündnis. Die Leute im Tower waren Heinrichs Männer.«
    »Natürlich waren sie das. Wußten Sie, daß Heinrich der erste englische König mit einer Leibwache war? Ich möchte wissen, was er seiner Frau über ihre Brüder erzählt hat.«
    »Ja, das würde mich auch interessieren. Vielleicht hat er ihr sogar die Wahrheit gesagt?«
    »Heinrich? Niemals. Heinrich wäre in schwere seelische Konflikte geraten, Mr. Grant, wenn er hätte zugeben müssen, daß zwei und zwei vier ist. Ich habe Ihnen ja gesagt, daß er immer den krummen Weg nahm. Nie ist er irgendein Problem direkt angegangen.«
    »Wäre er ein Sadist gewesen, dann hätte er ihr so etwas aus Gemeinheit sagen können. Sie konnte ja praktisch nichts tun. Selbst wenn sie gewollt hätte. Vielleicht hat sie es aber auch gar nicht so sehr gewollt. Sie hatte gerade einen Erben für den englischen Thron produziert und war im Begriff, einen zweiten zu produzieren. Vielleicht fühlte sie sich auch nicht bemüßigt, einen Kreuzzug für die beiden Knaben zu eröffnen. Ganz besonders nicht einen Kreuzzug, der ihr den Boden unter den Füßen weggezogen hätte.«
    »Heinrich war kein Sadist«, sagte der junge Carradine traurig. Traurig deshalb, weil er Heinrich nicht auch noch diese Untugend ankreiden konnte. »In gewisser Weise war er genau das Gegenteil. Er hatte gar keinen Geschmack am Morden. Er mußte jeden Mord erst verniedlichen, ehe er sich mit dem Gedanken daran vertraut machen konnte. Er mußte ihn legal aufzäumen. Ich glaube, Sie irren sich mit der Annahme, es hätte Heinrich Spaß gemacht, sich vor dem Einschlafen Elisabeth gegenüber des Verbrechens an ihren Brüdern zu rühmen.«
    »Wahrscheinlich haben Sie recht«, meinte Grant gedankenversunken. »Ich habe eben das richtige Adjektiv für Heinrich gefunden«, sagte er nach einiger Zeit. »Schäbig. Er war eine schäbige Kreatur.«
    »Ja. Sogar sein Haar war dünn und spärlich.«
    »Ich habe es nicht äußerlich gemeint.«
    »Das weiß ich.«
    »Alles, was er tat, war schäbig. Nicht nur seine Geldgier, der ganze Mensch war schäbig. Nicht wahr?«
    »Ja. Dr. Gairdner hätte in seinem Fall keinerlei Schwierigkeiten gehabt, Handlungsweise und Charakter in Übereinstimmung zu bringen. Wie kommen Sie denn mit dem Doktor voran?«
    »Ein faszinierendes Buch. Wenn Gottes unendliche Güte es nicht verhindert hätte, dann, glaube ich, wäre der ehrenwerte Doktor ein erfolgreicher Verbrecher geworden.«
    »Weil er mogelte?«
    »Weil er nicht mogelte. Er war grundehrlich. Er konnte einfach nicht von B auf C schließen.«
    »Schön. Ich will’s Ihnen abkaufen.«
    »Jeder Mensch kann von A auf B schließen – selbst ein Kind. Und die meisten Erwachsenen können von B auf C schließen, aber viele können es nicht. Die meisten Verbrecher können es nicht. Ob Sie es mir glauben oder nicht – ich weiß, das ist eine furchtbare Enttäuschung, denn die breite Öffentlichkeit sieht im Verbrecher eine blendende und gerissene Erscheinung –, der Verbrecher ist im Grunde meist töricht. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie töricht er manchmal ist. Man muß sich selbst davon überzeugt haben, wie sehr es ihm an Vernunft fehlt, um es auch
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