Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alibi für einen König

Alibi für einen König

Titel: Alibi für einen König
Autoren: Josephine Tey
Vom Netzwerk:
Aber niemand schien ihr gegrollt zu haben. Sogar Richard hatte sie die Ungeheuerlichkeiten ihrer Verwandtschaft nicht entgelten lassen. Niemand war ihr böse – bis Heinrich kam.
    Sie war auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Elisabeth Woodville. Die Königinwitwe, die Mutter der Königin von England. Die Mutter der Prinzen im Tower, die unter Richard III. unbehelligt und glanzvoll gelebt hatte.
    Das war doch ein häßlicher Bruch im Gesamtbild.
    Er ließ nun alle privaten Tragödien auf sich beruhen und fing an, wie ein Polizist zu denken. Es war Zeit, daß er seinen Fall klärte. Daß er ihn klipp und klar vorbrachte.
    Das würde dem Jungen bei seinem Buch helfen und vor allem Ordnung in seine eigenen Gedanken bringen. Er wollte es schwarz auf weiß niederschreiben, um es vor Augen zu haben.
    Er nahm seinen Schreibblock und seinen Füllfederhalter und schrieb:

    Zu Bearbeitender Fall: Verschwinden zweier Knaben (Eduard, Prinz von Wales; Richard, Herzog von York) aus dem Tower von London. Um 1485.

    Er überlegte, ob es besser sei, die beiden Verdächtigen nebeneinander oder nacheinander aufzuführen. Vielleicht war es besser, zuerst Richard vorzunehmen. Er machte also eine neue Überschrift und begann dann sein Resume:

    Richard III.
    Vorleben:
    Gut. Hat vorzüglichen Leumund im öffentlichen Dienst und guten Ruf im Privatleben. Hervorstechendster Zug, wie durch seine Handlungen bewiesen: Vernunft.
    Im Zusammenhang mit dem vorgeblichen Verbrechen:
a) Kein Nutznießer. Es gab neun weitere Anwärter des Hauses York, darunter drei männliche.
    b) Es gibt keine zeitgenössische Anklage.
    c) Die Mutter der Knaben steht bis zu seinem Tod weiterhin mit ihm auf freundschaftlichem Fuß, ihre Töchter nehmen an Festlichkeiten im Schloß teil.
    d) Er zeigte keine Furcht vor den übrigen Erben des Hauses York, gewährte ihnen großzügig standesgemäßen Unterhalt und königlichen Status.
    e) Sein persönlicher Anspruch auf die Krone war unbestreitbar, durch Parlamentsbeschluß und öffentliche Anerkennung gebilligt. Die Knaben waren von der Thronfolge ausgeschlossen und daher keine Gefahr für ihn.
    f) Hätte er eine Absetzung befürchten müssen, so wären nicht die beiden Knaben zu beseitigen gewesen, sondern die Person, die tatsächlich in der Thronfolge nach ihm kam: der junge Warwick. Den er öffentlich zu seinem Nachfolger bestimmte, als sein eigener Sohn starb.

    Heinrich VII.
    Vorleben:
    Ein Abenteurer, der an ausländischen Höfen lebt. Sohn einer ehrgeizigen Mutter. Nichts Gegenteiliges über sein Privatleben bekannt. Kein öffentliches Amt, keine Anstellung. Hervorstechendster Zug, wie durch seine Handlungen bewiesen: Geschmeidigkeit.
    Im Zusammenhang mit dem vorgeblichen Verbrechen:
a) Es war für ihn von größter Bedeutung, daß die Knaben aus dem Leben schieden. Indem er das Gesetz, das die Illegitimität der Kinder bestätigte, widerrief, machte er den älteren Knaben zum König von England und dessen jüngeren Bruder zum Thronfolger.
    b) In der Anklage, die er vor dem Parlament gegen Richard erhob, um dessen Ächtung zu bewirken, beschuldigte er Richard in Bausch und Bogen der Tyrannei und Grausamkeit, ohne jedoch die beiden kleinen Prinzen zu erwähnen. Daraus muß unweigerlich geschlossen werden, daß zu diesem Zeitpunkt beide Knaben lebten und daß ihr Aufenthaltsort bekannt war.
    c) Die Mutter der Knaben wurde ihrer Einkünfte beraubt und achtzehn Monate nach Heinrichs Thronbesteigung in ein Kloster verbannt.
    d) Er unternahm sofort Schritte, um aller Personen, die als Thronanwärter in Frage kamen, habhaft zu werden. Diese Personen hielt er in strengem Gewahrsam, bis er sie möglichst unauffällig beseitigen konnte.
    e) Er hatte keinerlei Anrecht auf den Thron. Seit Richards Tod war der junge Warwick de jure König von England.

    Während Grant das niederschrieb, kam ihm zum erstenmal der Gedanke, daß es ja in Richards Macht gestanden hätte, seinen Bastardsohn John zu legitimieren und ihn der Nation aufzuzwingen. Es gab genügend Präzedenzfälle, die eine solche Handlung gerechtfertigt hätten. Schließlich stammte die ganze Beaufort-Sippe, einschließlich Heinrichs Mutter, nicht nur aus einer illegitimen Verbindung, sondern aus einem doppelten Ehebruch. Nichts hätte Richard hindern können, jenen »lebhaften und wohlgeratenen« Knaben zu legitimieren. Daß eine solche Handlungsweise ihm offenkundig nicht in den Sinn gekommen war, ließ bemerkenswerte Rückschlüsse zu. Sogar im Augenblick
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher