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Aleph

Aleph

Titel: Aleph
Autoren: Paulo Coelho
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Richtung. Ich kann sie gerade noch abfangen, bevor sie mein Gesicht trifft. Sofort fängt Hilal an, wie besessen auf mich einzuschlagen. Ich lasse die Lampe fallen und versuche, ihre Arme zu packen, ohne Erfolg. Ein Fausthieb trifft meine Nase, und Blut spritzt in alle Richtungen.
    Sie und ich sind beide voller Blut.
    Die Seele der Türkei wird Ihrem Mann alle Liebe geben, die sie besitzt. Aber sie wird sein Blut vergießen, bevor sie enthüllt, was er sucht.
    »Na gut, komm mit!«
     
    ***
     
    Mein Tonfall ist urplötzlich ein anderer. Hilal hört sofort auf, mich zu schlagen. Ich packe sie am Arm und ziehe sie aus dem Zimmer. »Komm mit mir!«
    Ich halte mich nicht mit Erklärungen auf, sondern laufe einfach wortlos die Treppe hinunter, Hilal hinter mir her. Sie wirkt plötzlich eher erschrocken als wütend. Mein Herz klopft heftig. Wir verlassen eilig das Gebäude. Der Wagen, der mich ursprünglich zum Abendessen fahren sollte, steht noch immer dort.
    »Zum Bahnhof!«
    Der Chauffeur schaut mich verständnislos an. Ich reiße den Wagenschlag auf, stoße Hilal hinein und steige hinter ihr ein.
    »Sag ihm, er soll sofort zum Bahnhof fahren!« Sie wiederholt den Satz auf Russisch. Der Chauffeur fährt los.
    »Sag ihm, er braucht sich nicht ans Tempolimit zu halten. Ich regle das hinterher. Wichtig ist nur, dass wir schnell dort sind!«
    Dem Mann scheinen meine Anweisungen zu gefallen. Er rast los, geht mit quietschenden Reifen in die Kurven, die anderen Wagen bremsen, als sie das offizielle Nummernschild sehen. Zu meiner Überraschung hat er ein Blaulicht mit Sirene dabei, das er jetzt auf dem Dach anbringt. Meine Finger krallen sich in Hilals Arm.
    »Aua! Du tust mir weh!«
    Ich lasse sie los und bete zu Gott, dass wir es noch rechtzeitig schaffen und dass alles noch am selben Ort ist.
    Jetzt redet Hilal auf mich ein, damit ich mich beruhige, entschuldigt sich für ihr Benehmen, sie habe im Zimmer nicht ernstlich vorgehabt, aus dem Fenster zu springen, sie habe nur so getan als ob. Wer liebt, zerstört nicht und lässt sich auch nicht zerstören. Sie würde nie zulassen, sagt sie, dass ich in künftigen Inkarnationen erneut leide und mich schuldig fühle - einmal sei genug. Ich würde ihr gern antworten, kann ihren Worten aber nicht wirklich folgen.
    Zehn Minuten später bremst der Wagen vor dem Bahnhof.
    Ich öffne die Tür, zerre Hilal aus dem Wagen und hinein in den Bahnhof - doch der Bahnsteig ist geschlossen. Ich will gerade über die Absperrung klettern, als zwei stämmige Wachleute auftauchen. Hilal lässt mich stehen und geht davon, und ich fühle mich zum ersten Mal auf dieser Reise verloren, unsicher, was als nächstes zu tun ist. Ich brauche Hilal an meiner Seite, ohne sie werde ich nichts mehr erreichen.
    Ich setze mich auf den Boden. Die Männer schauen wütend zu mir herüber, auf mein Gesicht, meine blutverschmierten Kleider, sie kommen näher, bedeuten mir mit Gesten aufzustehen und fangen schließlich an, mir Fragen zu stellen. Ich versuche ihnen begreiflich zu machen, dass ich kein Russisch kann, aber sie werden nur immer aggressiver. Andere Leute kommen hinzu und gaffen.
    Hilal kommt mit dem Chauffeur zurück. Ohne die Stimme zu erheben, sagt er etwas zu den beiden Wachleuten, die von einem Moment zum anderen ganz freundlich werden. Doch ich habe keine Zeit zu verlieren. Ich muss weiter. Die Wachen scheuchen die Gaffer weg, und ich packe Hilal bei der Hand und renne mit ihr den Bahnsteig entlang bis ganz nach hinten. Hier ist es stockdunkel, aber ich kann den letzten Waggon gerade noch erkennen.
    Ja, er steht noch da!
    Ich umarme Hilal, während ich versuche, wieder zu Atem zu kommen. Mein Herz rast wegen der körperlichen Anstrengung und des Adrenalins in meinem Blut. Mir ist schwindlig, auch weil ich mittags kaum etwas gegessen habe. Doch ich darf jetzt auf gar keinen Fall ohnmächtig werden! Die Seele der Türkei wird mir zeigen, was ich sehen muss. Hilal streichelt mich, als wäre ich ihr Kind. Sagt, ich solle mich beruhigen, mir könne nichts Böses geschehen, denn sie sei bei mir.
    Ich atme tief durch, mein Herzschlag normalisiert sich allmählich.
    »Komm! Komm mit mir!«
    Die Zugtüren sind nicht verschlossen - niemand würde es wagen, in Russland in einen Zug einzudringen, um etwas zu stehlen. Wir betreten den engen Vorraum, ich bitte sie, sich mit dem Rücken zur Wand zu stellen, so wie ich es ganz am Anfang dieser endlosen Reise getan hatte. Unsere Gesichter berühren sich fast, als
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