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Aleph

Aleph

Titel: Aleph
Autoren: Paulo Coelho
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des Höllenfeuers spüren, das jene Männer anzünden werden, die glauben, im Namen des Himmels zu handeln. Ich habe meinen Superior gebeten, nicht zusammen mit den anderen Angehörigen der Kirche an der Hinrichtung teilnehmen zu müssen. Es brauchte nicht viel Überzeugung von meiner Seite, denn er war noch immer zornig über meine Feigheit und froh, mich nicht sehen zu müssen. Nun stehe ich, immer noch in meinem Dominikanerhabit, inmitten der Menschenmenge und versuche, mein Gesicht unter meiner Kapuze zu verbergen.
    Den ganzen Tag über sind Neugierige aus den benachbarten Städten angereist, und bei Einbruch der Dunkelheit ist der Platz schwarz von Menschen. Die Adligen sitzen in ihren Festgewändern auf gepolsterten Stühlen in der ersten Reihe. Die Frauen haben offensichtlich viel Zeit darauf verwendet, sich zurechtzumachen, um ihre vermeintliche Schönheit von allen bewundert zu sehen. Im Blick der Anwesenden liegt etwas, das über reine Neugier hinausgeht: ein Bedürfnis nach Rache. Sie sind nicht einfach erleichtert, weil hier die Schuldigen ihre gerechte Strafe bekommen, sie strahlen vielmehr eine hämische Genugtuung aus, weil es sich dabei um junge hübsche, sinnliche Töchter reicher Leute handelt. Sie verdienen es, bestraft zu werden, für alles das, was die meisten entweder mit ihrer Jugend verloren oder nie gehabt haben. Lasst uns also Rache nehmen an der Schönheit, Rache an Freude, Lachen, Hoffnung. Wir wollen nicht darauf gestoßen werden, was wir eigentlich sind: erbärmlich, frustriert, ohnmächtig.
    Der Inquisitor zelebriert die lateinische Messe. Während der Predigt, in der er vor den schrecklichen Strafen warnt, die all jene zu erwarten haben, die der Ketzerei beschuldigt werden, ertönen plötzlich laute Rufe und Schreie. Es sind die Eltern der jungen Frauen, die gleich verbrannt werden sollen. Man hatte ihnen den Zugang zum Platz verweigert, doch offenbar ist es ihnen gelungen, die Barrieren zu durchbrechen.
    Der Inquisitor hält in seiner Ansprache inne, aus der Menge werden Buhrufe laut, die Wachen stürzen sich auf die Eltern und schleifen sie weg.
    Ein Ochsenkarren erreicht den Platz. Den jungen Frauen werden die Arme auf dem Rücken gefesselt, und Dominikanermönche helfen ihnen aufzusteigen. Die Wachen stellen sich um das Gefährt auf, die Menge tritt zur Seite, und die Ochsen mit ihrer makabren Fracht werden zum Scheiterhaufen geführt, der auf einem nahen Feld angezündet werden wird.
    Die jungen Frauen halten den Kopf gesenkt. Von meinem Platz aus kann ich nicht sehen, ob in ihren Augen Angst oder Traurigkeit ist. Eine von ihnen ist so barbarisch gefoltert worden, dass sie sich ohne Hilfe ihrer Gefährtinnen nicht allein auf den Beinen halten kann. Die Soldaten haben Mühe, die grölende und Verwünschungen ausstoßende Menge zu bändigen. Als ich merke, dass der Ochsenkarren unmittelbar vor mir vorbeikommen wird, versuche ich mich wegzustehlen, doch es ist bereits zu spät. Ich bin zwischen den dicht gedrängt stehenden Männern, Frauen und Kindern eingekeilt.
    Der Karren kommt immer näher. Die weißen Gewänder der jungen Frauen sind jetzt von Eiern, Bier, Wein, Kartoffelschalen besudelt, mit denen der Pöbel sie beschmutzt hat. >Gott, erbarme dich ihrer<, bete ich. Ich hoffe, dass sie in dem Augenblick, in dem der Scheiterhaufen angezündet wird, noch einmal um Vergebung für ihre Sünden bitten - Sünden, die sich dereinst in Tugenden verwandeln werden, auch wenn wir uns dies niemals vorstellen können. Sofern sie dann um Absolution bitten, wird ein Mönch ihnen noch einmal die Beichte abnehmen, ihre Seelen Gott überantworten, worauf sie mit einem Seil erdrosselt und nur ihre Leichen auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden.
    Bestehen sie jedoch auf ihrer Unschuld, werden sie bei lebendigem Leibe verbrannt.
    Ich habe schon an anderen Autodafes teilgenommen. Ich hoffe inständig, dass die Eltern der Mädchen dem Henker Geld gegeben haben. Er wird dann etwas Öl über das Holz schütten, damit es schneller brennt und der Rauch sie vergiftet, bevor das Feuer erst ihr Haar, dann ihre Füße, die Hände, das Gesicht, die Beine und schließlich den Leib verbrennt. Wenn es keine Gelegenheit für eine Bestechung gegeben haben sollte, verbrennen sie langsam, und ihr Leiden ist unbeschreiblich.
    Der Ochsenkarren ist jetzt unmittelbar vor mir. Ich senke den Kopf, aber eine von ihnen erkennt mich trotzdem. Nun wenden sie sich alle mir zu, und ich mache mich darauf gefasst, beschimpft und
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