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Albert Schweitzer

Albert Schweitzer

Titel: Albert Schweitzer
Autoren: Peter Muenster
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unglücklich war. Die selbsterzieherische Konsequenz, die Schweitzer als Erwachsener aus dieser frühkindlichen Inszenierung zog, war typisch für seinen Charakter: „Wie oft hat mich dieses Erlebnis gewarnt, wenn ich als Erwachsener in Versuchung kam, mit dem, was mir widerfuhr, wichtig zu tun.“
    Schüler zu werden war für den Jungen kein Ereignis, auf das er sich gefreut hätte. Als ihn der Vater erstmals in die Günsbacher Schule führte, weinte der Kleine den ganzen Weg bittere Tränen. Er ahnte, dass es von nun an mit den geliebten Tagträumereien und der unbeschwerten, herrlichen Freiheit in der schönen Landschaft des Münstertals zu Ende wäre. Aus dieser Erfahrung zog Schweitzer Konsequenzen für sein weiteres Leben: „Auch später hat sich mein Ahnen nie von dem schönen Schein, in dem sich das Neue darbot, blenden lassen. Immer bin ich ohne Illusionen in das Unbekannte hineingestiegen.“
    Ein großes Erlebnis aus dieser Zeit war für Albert die Begegnung mit dem Juden Mausche. Dieser Jude, der Viehhandel betrieb, zog mit seinem Eselskarren gelegentlich auch durch Günsbach. Die pubertierenden Jungen aus dem Dorf machten sich einen makaberen Spaß daraus, dem graubärtigen Mann hinterherzulaufen und ihn zu verspotten. Die Mutigsten drehten dabei die Zipfel ihrer Jacken zu Schweinsohren. Die Reaktion des altenMannes beschämte Albert zutiefst. Statt sich mit Schimpfworten oder einem Wutausbruch gegen die Häme der frechen Jungen zur Wehr zu setzen, zog er ruhig und gelassen mit seinem Eselskarren weiter, drehte sich zu den Lausbuben um und lächelte ihnen verlegen und gütig zu. Was für eine entwaffnende Geste war dies für Albert: „Dieses Lächeln überwältigte mich. Von Mausche habe ich zum ersten Mal gelernt, was es heißt, in Verfolgung stille schweigen. Er ist ein großer Erzieher für mich geworden. Von da an grüßte ich ihn ehrerbietig. Später, als Gymnasiast, nahm ich die Gewohnheit an, ihm die Hand zu geben und ein Stückchen Weges mit ihm zu gehen. Aber nie hat er erfahren, was er für mich bedeutete. Es ging das Gerücht, er sei ein Wucherer und Güterzerstückler. Ich habe es nie nachgeprüft. Für mich ist er der Mausche mit dem verzeihenden Lächeln geblieben, der mich noch heute zur Geduld zwingt, wo ich zürnen und toben möchte.“
    Wie alle Jungen in diesem Alter ging auch Albert Gelegenheiten, seine Körperkräfte mit den anderen Burschen zu messen, nicht aus dem Weg, freilich ohne dabei streitsüchtig zu sein. Einmal gelang es ihm, den größeren und als stärker geltenden Schulkameraden Georg Nitschelm im Ringkampf zu bezwingen. Als der unter ihm lag, presste er die Worte hervor: „Ja, wenn ich alle Woche zweimal Fleischsuppe zu essen bekäme wie du, da wäre ich auch so stark wie du.“ Albert war erschüttert: „Georg Nitschelm hatte mit böser Deutlichkeit ausgesprochen,was ich bei anderen Gelegenheiten schon zu fühlen bekommen hatte. Die Dorfknaben ließen mich nicht ganz als einen der ihrigen gelten. Ich war für sie der, der es besser hatte als sie, das Pfarrerssöhnle, das Herrenbüble. Ich litt darunter, denn ich wollte nichts anderes sein und es nicht besser haben als sie. Die Fleischsuppe wurde mir zum Ekel. Sowie sie auf dem Tisch dampfte, hörte ich Georg Nitschelms Stimme.“ Auch aus diesem Erlebnis, das ihm bewusst machte, gegenüber den anderen Dorfjungen privilegiert zu sein, zog Albert mit der für ihn typischen Beharrlichkeit Schlussfolgerungen für sein Verhalten. Er weigerte sich von nun an standhaft gegen die Autorität von Mutter und Vater, anders gekleidet zu gehen als seine Altersgenossen. Selbst als ihm der Vater eine Ohrfeige verpasste, weil Albert sich sträubte, zum Gottesdienst einen Wintermantel anzulegen („Aber kein Dorfknabe trug einen Mantel!“), ließ sich der widerborstige Sohn nicht erweichen: „Es half nichts. Man musste mich ohne Mantel zur Kirche mitnehmen. Jedes Mal nun, wenn ich den Mantel anziehen sollte, gab es dieselbe Geschichte. Was habe ich wegen dieses Kleidungsstückes Schläge bekommen! Aber ich blieb standhaft.“
    Auch der Versuch der Mutter, ihm beim Einkauf in Straßburg eine hübsche Matrosenmütze aufzureden, schlug fehl. Am Ende und nach peinlichen Szenen mit der Verkäuferin zog Albert mit einem Ladenhüter, einer braunen Kappe, die sich an den Ohren herunterklappen ließ, freudestrahlend ab. Seine sture Solidarität mit denDorfknaben in Sachen Garderobe hatte wieder gesiegt. Auch in der Frage nach Fäustlingen
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