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Albert Schweitzer

Albert Schweitzer

Titel: Albert Schweitzer
Autoren: Peter Muenster
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und Holzschuhen blieb der starrköpfige Junge fest, selbst wenn es Ohrfeigen gab oder er strafweise in den Keller gesperrt wurde. Der Wunsch nach Gleichstellung und damit Anerkennung, die Peinlichkeit, andernfalls von den Kameraden als verwöhntes „Herrenbüble“ verspottet zu werden, waren stärker als die Furcht vor den Auseinandersetzungen mit den erbosten Eltern.
    Eine schreckliche Erfahrung wurde ihm zuteil, als ein Freund ihn verriet. Albert hatte zum ersten Mal das Wort „Krüppel“ gehört, wusste es in seiner Bedeutung nicht richtig einzuordnen und hielt es vage für einen Ausdruck besonders starken Missfallens. Einer neuen Lehrerin war es wegen ihrer Unerfahrenheit noch nicht gelungen, Alberts Anerkennung zu erwerben, weshalb er sie für sich mit dieser dubiosen Bezeichnung versah. Seinem Freund teilte er beim Kühehüten mit, dass er das Fräulein Goguel für einen Krüppel halte. Er nahm dem Kameraden das Versprechen ab, mit niemand anderem dieses Geheimnis zu teilen. Wenig später gerieten die beiden auf dem Schulweg in Streit. Da drohte der andere Junge Alfred damit, der Lehrerin zu verraten, dass er sie Krüppel genannt habe. Albert nahm diese Drohung nicht ernst, weil er einen solch bodenlos gemeinen Verrat schlichtweg für unmöglich hielt. Aber das Unfassbare geschah; Albert wurde bei der Lehrerin wegen seinerrespektlosen Äußerung verpetzt. Zwar blieb dieser Verrat für ihn ohne persönliche Folgen, weil Fräulein Goguel die infame Denunziation ignorierte. Doch für Albert war ein Teil seiner Welt zusammengebrochen: „Das erste Erleben von Verrat schlug alles in Scherben, was ich bisher vom Leben gedacht und erwartet hatte. Ich brauchte Wochen, bis ich mich damit abgefunden hatte. Nun war ich wissend geworden über das Leben. Ich trug die bittere Wunde an mir, die es uns allen schlägt und die es durch immer neue Streiche [= Schläge] offen hält. Von den Streichen, die ich seitdem empfangen habe, waren manche schwerer als der erste. Aber so geschmerzt wie jener hat keiner.“
    Noch vor seiner Schulzeit wurde Albert von seinem Vater, der selbst einfühlsam auf dem Klavier zu improvisieren verstand, musikalisch unterrichtet. Der Vater war es auch, der ihn früh mit biblischen Geschichten vertraut machte. Als Albert acht Jahre alt war, erhielt er ein Neues Testament, in dem er eifrig las. Schon in diesem frühen Lebensalter machte sich der kritische Forschergeist des späteren liberalen Theologen bemerkbar, denn Albert wurde durch die Bibellektüre mit für ihn durchaus ernsthaften Fragen konfrontiert: „Zu den Geschichten, die mich am meisten beschäftigten, gehörte die von den Weisen aus dem Morgenland. Was haben die Eltern Jesu mit dem Gold und den Kostbarkeiten gemacht, die sie von diesen Männern bekamen?, fragte ich mich. Wie konnten sie nachher wieder arm sein? Ganz unbegreiflichwar mir, dass die Weisen aus dem Morgenland sich später um das Jesuskind gar nicht mehr bekümmerten. Auch dass von den Hirten zu Bethlehem nicht erzählt wird, sie seien nachher Jünger Jesu geworden, gab mir schweren Anstoß.“
    Dass Schweitzer später zu einem der produktivsten Briefschreiber werden sollte (mehr als 10 000 Briefe sind archiviert), hätte er sich in seiner Jugend wohl nicht vorstellen können. Im Gegenteil: Das Briefschreiben war ihm verhasst, weil es unfreiwillig auf unnachgiebigen Druck des Vaters zu geschehen hatte. Jedes Jahr nach den Weihnachtstagen verlangte der in dieser Hinsicht gestrenge Herr von den Kindern, sich brieflich für die erhaltenen Weihnachtsgeschenke zu bedanken. „Heute aber werden die Briefe geschrieben! Die Weihnachtsgeschenke nehmt ihr an. Aber wenn’s dann heißt, an die Dankesbriefe gehen, da seid ihr zu faul. Darum dran! Und ich will keine verdrossenen Gesichter sehen!“ Für Albert war diese Dankespflicht ein Martyrium, fiel es ihm doch unsagbar schwer, sich die passenden Worte für diese anbefohlenen Pflichtschreiben abzuringen. Einmal fing er gar unmittelbar nach der weihnachtlichen Bescherung zu weinen an, weil er das Schreckgespenst der unvermeidlichen Briefe vor Augen hatte.
    Mit neun Jahren wechselte Albert auf die Realschule nach Münster. Er genoss es, die drei Kilometer Schulweg am Morgen und späten Nachmittag allein zu gehen und freute sich dabei am jahreszeitlichen Wechsel der reizvollenNatur und dass er Zeit hatte, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. In der Realschule wurde er in Religion von Pfarrer Schäffer unterrichtet, der es
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