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Albert Schweitzer

Albert Schweitzer

Titel: Albert Schweitzer
Autoren: Peter Muenster
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einer Gerte trieb ich ihn in einen Winkel des Hofs und ließ ihn nicht hinaus, bis der Briefträger wieder fort war. Welch stolzes Gefühl, als Tierbändiger vor dem bellenden und Zähne fletschenden Hund zu stehen und ihn mit Schlägen zu meistern, wenn er aus dem Winkel ausbrechen wollte! Aber das stolze Gefühl hielt nicht an. Wenn wir nachher wieder als Freunde beieinander saßen, klagte ich mich an, dass ich ihn geschlagen hatte. Ich wusste, dass ich ihn vom Briefträger auch abhalten könnte, wenn ich ihn beim Halsbad fasste und streichelte. Wenn die fatale Stunde aber wieder kam, erlag ich wiederum dem Rausch, Tierbändiger zu sein ...“
    Ähnlich erging es ihm mit dem alten Pferd des Nachbarn, der Albert in den Ferien erlaubt hatte, Fuhrmann zu sein. Mit der Peitsche trieb der Junge das arme Geschöpf bis zur Erschöpfung und war stolz darauf, sich dieses große Tier gefügig zu machen. Als er beim Ausschirren jedoch merkte, wie ausgepumpt das alte Tier war, überkamen ihn Reue und Mitleid, und er bat das geschundene Pferd stumm um Vergebung.
    In den Weihnachtsferien kutschierte Albert einmal mit dem Schlitten durchs Dorf, als plötzlich der als böse geltende Hund des Nachbarn Löscher laut kläffend auf dasSchlittenpferd zustürzte. Albert versetzte dem ungestümen Hund einen gezielten Peitschenhieb ins Auge und musste mit ansehen, wie sich das Tier heulend vor Schmerz im Schnee wälzte. Noch lange verfolgte ihn die klagende Stimme des Hundes.
    Zweimal ließ sich Albert von anderen Dorfjungen zum Angeln überreden. Doch die Misshandlung der aufgespießten Würmer und die zerrissenen Mäuler der gefangenen Fische hielten ihn künftig davon ab, ja er war mutig genug, anderen Kameraden das Fischen auszureden.
    Schweitzer zog für sich eine bleibende Lehre aus diesen markanten Erlebnissen mit Tieren: „Aus solchen mir das Herz bewegenden und mich oft beschämenden Erlebnissen entstand in mir langsam die unerschütterliche Überzeugung, dass wir Tod und Leid über ein anderes Wesen nur bringen dürfen, wenn eine unentrinnbare Notwendigkeit dafür vorliegt, und dass wir alle das Grausige empfinden müssen, das darin liegt, dass wir aus Gedankenlosigkeit leiden machen und töten. Immer stärker hat mich diese Überzeugung beherrscht. Immer mehr wurde mir gewiss, dass wir im Grunde alle so denken und es nur nicht zu bekennen und zu bestätigen wagen, weil wir fürchten, von den andern als ‚sentimental‘ belächelt zu werden, und auch weil wir uns abstumpfen lassen. Ich aber gelobte mir, mich niemals abstumpfen zu lassen und den Vorwurf der Sentimentalität niemals zu fürchten.“
    Der Wechsel auf das Mühlhausener Gymnasium (1885) brachte für Albert auch den vorübergehenden Abschied vom vertrauten Günsbacher Pfarrhaus. Das kinderlose Ehepaar Tante Sophie und Onkel Louis nahm den Neffen in seine Obhut, weil es den Eltern aus finanziellen Gründen sonst nicht möglich gewesen wäre, Alberts Schulbesuch in Mühlhausen (Mulhouse) zu ermöglichen. Im Haus des Großonkels musste sich Albert an einen bis ins Kleinste geordneten, von Pflichten erfüllten Alltag gewöhnen. Seine Zeit war streng reglementiert. Onkel Louis war nach längeren beruflichen Auslandserfahrungen in Neapel zu jener Zeit Direktor der Elementarschulen in Mühlhausen, stand also im Lehrerberuf. Tante Sophie führte im Hause ein liebevoll strenges Regiment. Hausaufgaben, Klavierübungen („Du weißt nicht, wozu dir die Musik einst im Leben gut sein wird“), Lesezeit, sonntägliche Spaziergänge – all das hatte seinen festen Platz im Terminkalender der resoluten Tante.
    In dieser Mühlhausener Zeit entwickelte der Gymnasiast Albert eine grenzenlose Lesewut, die ihn ein Leben lang begleiten sollte. Neben den Büchern, die er geradezu verschlang, galt sein Leseinteresse vor allem der täglichen Zeitungslektüre. Da die gute Tante Sophie ihn im Verdacht hatte, nur den Feuilletonteil und Sensationsnachrichten über Mordgeschichten lesen zu wollen, kam es zu einem intensiven Examen, bei dem Onkel Louis durch gezielte Fragen zur aktuellen Politik den jungen Zeitungsleser auf die Ernsthaftigkeit seiner Lektüreüberprüfte. Albert bestand dieses inoffizielle Examen mit Bravour und wurde dafür fortan als ernst zu nehmender Gesprächspartner in politischen Fragen akzeptiert. Seine Leidenschaft für das Zeitunglesen hat sich Schweitzer übrigens erhalten. Selbst im Urwald Zentralafrikas gelangten mehrere abonnierte Zeitschriften und Fachmagazine
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