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Ahoi Polaroid

Ahoi Polaroid

Titel: Ahoi Polaroid
Autoren: Sobo Swobodnik
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sondern allgemeiner, nämlich: Wenn man genau hinschaut, hinhört und sensibel ist oder glaubt, es zu sein, kann man lange vorher das Brodeln der Katastrophe hören. Dann sind die Ursachen erkennbar, die dazu führen, dass die Welt, die kleine im Badischen wie die große in Übersee und darüber hinaus, aus den Fugen gerät. Aber wer will sich schon mit der Katastrophe herumschlagen, wenn sie noch gar nicht da ist? Nach mir die Sintflut, und davor: kein Gedanke daran. Verhindern lässt es sich meistens ohnehin nicht. Das ist im Großen und Ganzen nicht anders als im persönlichen und privaten Bereich.
    Lange hat es in der Beziehung zwischen Agnes und Plotek gebrodelt, geköchelt, gezischt und gedampft. Bis dann schließlich die Fetzen geflogen sind. Irgendwie war da schon lange ein Sprung in der Tektonik. Wen wundert’s? Es gibt weltweit sicher mehr Todesfälle auf dem Schlachtfeld der Ehe, an der Beziehungsfront, als bei kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen und Mittleren Osten. Gegen den prügelnden Ehemann im Wohnzimmer sind die Taliban am Hindukusch Betschwestern. Der eigentliche Terror findet nicht zwischen den Kulturen, sondern in der Familie statt. Der Terrorist sitzt mit am Tisch. Bagdad ist in Bielefeld. Gaza neben Gütersloh. Die Mudschaheddin heißen Maier und Müller. Bin Laden, Ahmadinedschad sind in Böblingen geboren, haben eine Hollywoodschaukel im Garten und arbeiten bei Daimler. Am Wochenende wird gegrillt und der Ehefrau nach fünf Bier der Arsch versohlt. Vielleicht sollte die schnelle Eingreiftruppe mal in den idyllischen Einfamilienhäusern mit Jägerzaun anklopfen. Oder gucken der Verteidigungsminister und das Parlament vielleicht deshalb so weit über den Tellerrand hinaus, um von den eigenen Haaren in der Suppe abzulenken? Von der Suppe selbst? Das dachte Plotek jetzt. Während über der Tür die Welt der Badenser in weiteren Sondersendungen mit hysterischem Eifer auseinandergenommen wurde, als wäre die Welt zwischen Mannheim und Baden-Baden eine Hüpfburg.
    »Wie war’s beim Arzt?«, fragte Susi, wie wenn man fragt: »Lebst du noch oder stirbst du schon?«
    Natürlich verheimlichte Plotek Agnes’ Gewaltexzess. Sowohl Susi als auch allen anderen gegenüber. »Treppe«, sagte er kleinlaut, »Weißbiere, Tequilas« und: »Dunkel, sehr dunkel«. Susi und die anderen reimten sich den Rest zusammen. Ein wissendes Lächeln dokumentierte den Übergang vom Mitleid zur Schadenfreude.
    »Was hat der Doktor denn gesagt?« Susi ließ nicht locker.
    Der Doktor war eine Ärztin, hätte Plotek jetzt sagen können. Sagte es aber nicht, sondern dachte an die charmante Frau Doktor Hering. Urlaubsvertretung von Doktor Hohenthaler. Ihr hatte er natürlich auch nichts von Agnes’ schlagkräftigen Konfliktbewältigungsmaßnahmen erzählt. Obgleich Frau Dr. Hering ihn, wie es schien, auch ohne Worte und Erklärungen durchschaute.
    »Ziehen Sie sich aus«, sagte sie. »Und legen Sie sich hin.« Nackt bis auf die Unterhose lag Plotek auf der Pritsche und erinnerte mit seinen Wunden und blauen Flecken an Kinderzeichnungen. Oder an das Gemälde eines unbegabten, expressionistischen Malers. Frau Dr. Hering betrachtete jedes Hämatom und jeden Bluterguss ganz genau.
    »Das waren harte Stufen, eine hohe Treppe«, sagte sie und strich mit einer Salbe über die zum Teil faustgroßen und angeschwollenen Stellen. Plotek biss auf die Zähne und fing langsam an, sich in die Ärztin zu verlieben. Sie erinnerte ihn immer mehr an die Moderatorin vom Heute Journal, die mit den kühlen stahlblauen Augen.
    Als sie nach der Untersuchung die Diagnose mit »Das sieht gar nicht gut aus!« abschloss, war Plotek ihr mit Haut und Haaren verfallen. Schlechte Voraussetzungen für einen Hypochonder wie ihn.
    »Aber Sie werden es überleben!«
    Plotek zuckte mit den Schultern, als wäre es ihm egal.
    »Ich fürchte, wir werden uns in nächster Zeit öfter sehen.« Hoffentlich, dachte Plotek, dem dies wiederum nicht egal war. Er merkte auch, trotz Schmerzen, eine kleine Erektion in der Unterhose. Als wäre das auch der Frau Doktor Hering nicht verborgen geblieben, fügte sie hinzu: »Sie können sich wieder anziehen.«
    Beim nächsten Mal schien die Frau Doktor weniger wegen Ploteks derangiertem Körper beunruhigt zu sein, der mittlerweile farblich an ein actionpainting-Gemälde erinnerte, sonst aber erstaunlich gut heilte, sondern vielmehr wegen seiner Laborwerte.
    »Cholesterinspiegel«, sagte sie, wie wenn man »Motorschaden!«
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