Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ahoi Polaroid

Ahoi Polaroid

Titel: Ahoi Polaroid
Autoren: Sobo Swobodnik
Vom Netzwerk:
Stadttheater auf dem Fernsehbildschirm über der Tür im Froh und Munter , das gestern im Badischen in die Knie gegangen war. In diversen Sondersendungen wurde seit Stunden über die Gründe spekuliert, warum dieser Betonprachtbau aus den Siebzigern um 23 Uhr 35 plötzlich wie ein Kartenhaus zusammengefallen war. Natürlich kommt es hin und wieder vor, dass ein Gebäude kapituliert und sich wider Erwarten vorzeitig zur Ruhe legt. Aber in der Regel helfen da zum Beispiel Flugzeuge nach, wie bei den Twin Towers in New York. Oder Bauarbeiter, die im Dreck wühlen, um eine U-Bahn zu bauen. Wie beim Stadtarchiv in Köln.
    Was in der badischen Theaterstadt nachgeholfen hat, war völlig unklar. Alles Mögliche wurde in den Sondersendungen vermutet, von Baumängeln bei der Installation einer neuen Lüftungsanlage über Spätfolgen des Pfuschbaus in den siebziger Jahren bis zu einem Erdbeben, wegen der Plattentektonik direkt unter dem Theater. Und nicht zuletzt ein terroristischer Anschlag, was von den mediokren Analysten und selbst ernannten Fachleuten am Bildschirm ebenso in Betracht gezogen wurde. Tatsächlich hat es erst kürzlich eine Bombendrohung im Stadttheater vor der Premiere eines Stücks von einem jungen schwulen Dramatiker aus Berlin gegeben. Der nicht nur im Rollstuhl saß, sondern auch noch Jude war und offenbar ganz besonders originell sein wollte. Porno Purka hieß das Stück. Es schien nicht nur Tabus brechen, sondern auch noch Zeichen setzen zu wollen. Plotek vermutete allerdings, dass es dem jungen Mann, trotz Homosexualität und Rollstuhl, einfach etwas zu langweilig in der Birne geworden war. Es ging um nackte Muslime, um einen Ziegenbock, der sich in eine Burka verliebte, und einen obdachlosen orthodoxen Juden, der unter falschem Namen in einer Travestiebar als Tänzer anschaffte. Das Stück war ein kruder, manche würden sagen: kranker Mix, dem schon von weitem der Hang zur Grenzüberschreitung anzusehen war. Provokation mit Ansage. Mehr war es leider nicht. In Berlin, Hamburg, London oder Paris hätte sich niemand darüber aufgeregt. Die durchschaubare Brüskierung höchstens mit einem müden Achselzucken quittiert. Im Badisch-Schwäbischen, wo die Kehrwoche Kulturgut ist und Tannenzapfen nicht im Wald hängen, sondern verniedlicht als Tannenzäpfle im Kühlschrank liegen, war allerdings der Teufel los. Nicht nur die dortigen bürgerlichen Parteien brachten ihre Bedenken wortgewaltig zum Ausdruck. Auch der einfache Mann von der Straße protestierte gegen die Verschwendung von Steuergeldern für so einen »Humbug!«, »Scheißdreck!«, »Scheißabebele!« Nicht zuletzt legten diverse religiöse Vertreter und Interessenverwalter, vom Zentralrat bis zu den muslimischen Verbänden, ihr Veto ein. Nur der Intendant des Stadttheaters war mit dem Auftrieb ganz zufrieden. Endlich mal wieder so etwas wie ein Skandal. Oder besser: Skandälchen. Für den sich auch die überregionale Presse, das Fernsehen und alles interessierte. Sogar das Heute Journal hatte in seinem hypermodernen Studio von
    Mainz kurz herübergeschaut und seinen Beitrag mit »Was darf Kunst?« aufgemacht. Nun, Kunst darf alles, hätte man denken können, wenn es denn Kunst ist. Was bei diesem Stück erst noch entschieden werden musste. Sicher nicht vom Mann auf der Straße, vom Zentralrat oder den Steuergeldern . . . Für den Intendanten war es im Prinzip völlig zweitrangig, ob das Theaterstück Kunst, gut und notwendig oder was auch immer war. Hauptsache, er bekam genügend Aufmerksamkeit. Immerhin war er dafür bekannt, gern im Blickpunkt der Öffentlichkeit zu stehen.
    Die Bombendrohung verpuffte schließlich nach Räumung und Durchsuchung mit Hunden – keine Bombe nirgends – , und dann verpuffte das ganze Gebäude. Dass zwischen Einsturz und Drohung ein Zusammenhang bestehen könnte, lag zwar auf der Hand. Dass das Haus aber erst fünf Wochen nach der Premiere und auch noch in den Theaterferien, in denen das Gebäude praktisch verwaist war, einstürzte, schien zum einen eine glückliche Fügung. Zum anderen unerklärlich. Sonderkommissionen wurden gebildet. Talkshowrunden und Brennpunkte gaben sich die Klinke in die Hand. Selbst ernannte Fachleute und fremdbestimmte Experten hatten Hochkonjunktur. Vielleicht hat der Intendant die Bude selbst hochgehen lassen, hätte Plotek beim Blick hinauf zum Fernseher über der Tür im Froh und Munter denken können. Wenn er gedacht hätte. Er hat gedacht, aber nicht daran. Nicht so kleinteilig,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher