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Ahoi Polaroid

Ahoi Polaroid

Titel: Ahoi Polaroid
Autoren: Sobo Swobodnik
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dem Kopf auf dem Tresen liegend, eingeschlafen sein.

2
    Die Glocke ertönt scheppernd. Ring frei zur achten Runde. Alle sitzen wie Hühner auf Stangen um den Boxring herum und klatschen. Jubeln, kreischen, pfeifen. Vinzi, Susi, das ganze Froh und Munter und die gesamte badische Kleinstadt nach dem Theatereinsturz. Sogar Frau Doktor Hering ist da und schreit und klatscht. Es geht zu wie im Bierzelt auf dem Oktoberfest. Das ist hier aber nicht irgendein Kampf. Es ist exakt der Weltmeisterschaftskampf zwischen Muhammad Ali und George Foreman am 30. Oktober 1974 in Kinshasa. Der sogenannte Rumble in the Jungle. Mit einem Unterschied: Wo im historischen Kampf Ali in bewährter Rope-a-dope-Manier in den Seilen hing und damit sein Gegenüber zur Verzweiflung trieb, lehnt jetzt Agnes in den schlaffen rot-weißen Seilen zurück, wippend und lächelnd. Zumindest ist es ihr Gesicht, alles andere ist Ali, wie er leibt und lebt. Also schwarz, ohne Brüste und alles. Der völlig verzweifelte Foreman vor ihm sieht ebenfalls nur bis zum Hals wie George Foreman, der amtierende Schwergewichts boxweitmeister, aus. Der Kopf ist eindeutig der von Plotek. Und auf den redet Agnes unentwegt ein, als seien die Worte ihre Fäuste. Sie flüstert ihm »Is that all you can, Plotek?« ins Ohr. Immer wieder, immer lauter. Was Plotek noch mehr demoralisiert. Er wird immer schwächer. Er muss schmerzliche Konterschläge von Agnes einstecken. Harte Punchs gegen Kopf, Leber und Nieren. Er baut konditionell immer mehr ab. Er hechelt und schwitzt, während die Zuschauer jetzt »Agnes, töte ihn!« brüllen. Und Frau Doktor Hering, die er doch so sehr in sein Boxerherz geschlossen hat, brüllt am lautesten. Was Plotek-Foreman noch mehr entmutigt. Dann knallen kurz vor Ende der Runde zwei schnelle Links-rechts-Kombinationen von Agnes-Ali gegen seinen Kopf, gefolgt von neun weiteren Treffern an den Schädel, die dort bimmeln wie ein Zeichen zur Mariä Himmelfahrt. Er taumelt. Hat Pudding in den Knien. Er sinkt nieder, wie in Zeitlupe, schlägt schließlich auf dem Boden auf, schreckt hoch und fragt: »Wo bin ich?« Wie man fragt: »Ist das Licht im Kühlschrank aus?«
    »Paradies«, sagte eine Stimme. Es war aber nicht die des Ringrichters. Auch nicht die von Ali. Oder Agnes.
    »Nein!« Plotek riss die Augen auf. Es war Vinzi.
    »Jena Paradies, um genau zu sein.« Vinzi lachte. »Im ICE nach Berlin.«
    Plotek rieb sich die Augen, gähnte. Sein Genick war gestaucht. So versteift, als zöge alles Schlechte der Welt daran.
    »Schlecht geträumt, was?«
    »Ganz schlecht.«
    »Siehst auch so aus.«
    Ploteks Kopf schmerzte, auch die Rippen, das blaue Auge, die Schrammen im Gesicht. Dazu kam der Kater von den unzähligen Weißbieren und Tequilas am Vorabend. Zusammengenommen fühlte es sich an, als hätte Agnes die Blessuren noch einmal ordentlich aufgefrischt. Zu allem Übel war ihm ein bisschen schlecht. Sein Magen rumorte, und in seinen Beinen grabbelte eine Armee von Mistkäfern auf dem Weg zur Schlacht.
    »Das war knapp«, sagte Vinzi. »Verdammt knapp. Aber wir haben es geschafft.« Er lächelte erneut. Er lächelte Plotek die Erinnerung wieder ins Gedächtnis zurück.
    Sie hatten bis zum Morgengrauen im Froh und Munter gesoffen und waren anschließend am Tresen eingeschlafen. Um Punkt zehn Uhr war Vinzi plötzlich durch das Glockengebimmel des St.-Theresia-Karmeliterklosters ein paar Straßen weiter wach geworden. Kein normales, entspanntes Wachwerden, sondern ein aus allen Wolken fallendes, mit Donner. Nicht schön. Gar nicht schön. Aber als er auf die Uhr über dem Tresen geschaut hatte, wusste er, dass ihr Zug in einer halben Stunde abfahren würde. Also: Plotek wach kriegen, Taxi bestellen und dann mit Karacho zum Bahnhof. Das war trotz Restalkohol, oder gerade deswegen, wie am Schnürchen gelaufen. Und Glück war auch noch hinzugekommen. Mit dem Pfiff des Zugbegleiters hatte Plotek Vinzi samt Rollstuhl in den Zug gewuchtet. Sich selbst hinterher. Tür zu. Abfahrt.
    Es klingelte schon wieder ein Handy. Als hätte sich die Pfeife des Zugbegleiters zusammen mit den Glocken vom Karmeliterkloster in den Ohren der beiden heimisch eingerichtet.
    »Ja. Hallo, ja, ich fahr jetzt von Paradies los. Ja, nur fünf Minuten Verspätung. Nein, er hat mich überwiesen. Was? Nein, zum Proktologen«, krakeelte eine Frau schamlos in ihr Telefon. »Das erkläre ich dir später. Ja, ich habe die Spaghettisauce für dich in den Kühlschrank gestellt. Der Gemüseauflauf
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